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Der Krieg Russlands gegen die Ukraine:
Nicht zuerst, aber auch eine Katastrophe für den Klimaschutz

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Russland hat einen unabhängigen Staat überfallen und versucht ihn militärisch in die Knie zu zwingen. Tausende von Menschen sind in diesem Krieg schon gestorben, Millionen Menschen sind auf der Flucht und Hunderttausende in Städten ohne Strom, Wasser und Lebensmittelversorgung eingeschlossen. Russland muss seine Aggression beenden, damit dieses Leid ein Ende findet. Soweit ist es relativ einfach. Schwierig wird es bei der Frage, wie Russland dazu bewegt werden kann sich aus der Ukraine wieder zurückzuziehen.
Da ich kein Geostratege, Militär- oder Weltmachts-Experte bin, sondern Klimaschützer halte ich mich mit meiner Meinung zu möglichen Wegen zu einem Frieden weitgehend zurück; das überlasse ich den Menschen, die tief in dieser Materie stecken. Ich möchte darauf schauen, was der Krieg und die weltpolitischen Spannungen für den Klimaschutz bedeuten. Die Auswirkungen des Krieges auf die Energieversorgung sind dabei für den Klimaschutz wahrscheinlich nicht der gewichtigste Faktor. Die größte Bedeutung hat voraussichtlich die zukünftige Bereitschaft zur weltweiten Kooperation über die Grenzen von Blöcken und Lagern hinweg.

Die Frage der Energieversorgung

Der Krieg gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, wie sehr wir von der Lieferung von russischem Gas und Öl abhängig sind. Diese Abhängigkeit führt dazu, dass sich Deutschland, aber auch Europa sehr genau überlegen muss, welche Maßnahmen es gegen Russland ergreift. Denn ein Stopp des Gas- und Ölbezugs aus Russland – egal welche Seite ihn nun verhängt – bringt die Versorgung von sehr vielen Haushalten und relevanten Teilen der Industrie mit Gas, Strom und Öl in Gefahr.
Zum einen werden von daher Wege aus der akut drohenden Energieknappheit gesucht. Erfreulich ist hier, dass auch die Reduzierung des Energieverbrauchs dabei eine Rolle spielt1. Zum anderen geht es um die mittelfristigen Perspektiven für eine Energieversorgung, die nicht auf Lieferungen aus Russland baut. Dabei spielt zum Glück ein beschleunigter Zubau von erneuerbaren Energien eine relevante Rolle2. Es hilft dem Klimaschutz auf jeden Fall, wenn in Deutschland hergestellter Wind- und Sonnenstrom plötzlich in der FDP hohes Ansehen als „Freiheitsenergie“ genießt. Es gibt aber auch Lösungsansätze, die aus Klimaschutzperspektive problematisch sind: Wenn das russische Erdgas durch US-amerikanisches Frackinggas (LNG) und Kohle ersetzt wird, dann führt dies zu mehr Emissionen. Auf lange Sicht wird der Krieg wahrscheinlich den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen im Westen beschleunigen.

Wie sich der Krieg auf den Energiemix in Russland und in den mit Russland verbündeten Staaten auswirkt, ist schwer abschätzbar. Allerdings gab es dort auch vor dem Krieg schon so gut wie keine Bemühungen, aus den fossilen Energieträgern auszusteigen3.
Unterm Strich ergibt sich kein klares Bild davon, ob der Krieg zu mehr oder weniger Emissionen im Energiesektor führen wird. Wenn wir es schaffen, dass bei den Antworten auf den Wegfall oder die Verminderung von russischem Öl und Gas der Klimaschutz mitgedacht wird, dann werden die positiven Aspekte des schnelleren Ausbaus erneuerbarer Energie überwiegen. Eine vermehrte Nutzung von Frackinggas und Kohle lässt sich vielleicht nicht vermeiden, aber muss auf den Umfang begrenzt werden, der nach Nutzung der Einsparpotentiale zur Sicherung der Energieversorgung unvermeidlich ist.

1 Von technischen Lösungen zum Einsparen von Energie für Heizung und Warmwasser (elektronische Thermostatventile, Wassersparduschköpfe) bis zu Verhaltensänderungen (Raumtermperatur absenken, Tempolimits). Siehe z.B. Zeit vom 04.03., FR vom 09.03. und Stuttg. Nachr. Vom 24.03..

Klimaschutz braucht Kooperation – dafür ist der Krieg Gift

Egal wie verfeindet Länder auf dieser Welt sein mögen, in Bezug auf den Klimaschutz sitzen wir alle in einem Boot4. Wir müssen das Problem also gemeinsam lösen.

Um diese Lösung zu erreichen wurde das Klimaschutzabkommen von Paris geschlossen, auf das sich quasi alle Staaten der Erde geeinigt haben. Das Abkommen enthält aber keine Festlegung bezüglich der Emissionen, die einzelne Länder noch verursachen dürfen, und es sind darin auch keine Druck- oder Zwangsmittel festgelegt. Der Mechanismus des Klimaabkommens ist so gebaut, dass alle Länder für sich festlegen, wie viel sie zu den Einsparungsbemühungen beitragen. Das sind die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDCs), die das Herzstück des Abkommens bilden. Diese Beiträge werden zusammengerechnet und verglichen mit den noch verfügbaren CO2-Budgets. Die Feststellung in der Vergangenheit war immer, dass das Zugesagte nicht reicht und dann wird darüber verhandelt, wer bereit ist, seine Beiträge zu vergrößern, um der Einhaltung der 1,7 Grad-Grenze5 zumindest ein Stück näher zu kommen.

Das Pariser Abkommen ist ein Meisterwerk in Bezug auf das Herbeiführen einer weltweiten Einigung, selbst wenn es in Bezug auf die Verbindlichkeit schwer zu wünschen übrig lässt. Trotz verschiedenster, auch widerstreitender Interessen konnte eine Formel gefunden werden, hinter die sich alle Länder gestellt haben. Dass eine solche multilaterale Vereinbarung auch wirklich zu einer spürbaren Veränderung führen kann, hat das Protokoll von Montreal aus dem Jahr 1987 bewiesen, mit dem das Ende der Nutzung von FCKWs zum Schutz der Ozonschicht beschlossen und im Lauf der Zeit auch erreicht wurde6.

Im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die entscheidende Frage für den Klimaschutz nun vermutlich, wie gut oder schlecht es möglich sein wird, sich in einem angespannten politischen Klima auf weitere Maßnahmen für den Klimaschutz zu einigen. Einfacher wird es dadurch sicherlich nicht. Da Russland und die mit ihm verbündeten ehemaligen Sowjetrepubliken für nicht mal 10 % aller Emissionen verantwortlich sind, könnte effektiver Klimaschutz auch dann noch funktionieren, wenn sich der Rest der Welt einig ist. Aber meistens läuft es eher darauf hinaus, dass die mangelnden Bemühungen eines Landes oder einer Region als Ausrede dafür herangezogen werden, um selbst ebenfalls hinter dem Möglichen zurückbleiben.

Groß ist auf jeden Fall die Gefahr, dass das Interesse für das Thema und die Bereitschaft dafür Geld auszugeben massiv nachlässt, weil sich die Welt überwiegend für Anfeindungen und Rüstung interessiert. Der russische Nationalismus kann dabei auch die nationalistischen Tendenzen in anderen Ländern verstärken. Die Gefahr ist groß, dass die Antworten der „starken Männer“ populärer werden in einer von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Welt. Und das, so zeigt die im nächsten Absatz vorgestellte Klimaforschung, ist sehr schlecht für den Klimaschutz.

4 So sehr das stimmt, ist es natürlich dennoch wichtig den Aspekt der Klimagerechtigkeit bei diesem Bild nicht zu vergessen: In diesem Boot, in dem wir alle sitzen, gibt es solche, die bei einem heftigen Sturm auf dem Deck stehen müssen (Länder des globalen Südens, die die Klimakrise mit voller Wucht und wenig Schutz abbekommen) und andere die eine Kabine haben (Länder des globalen Nordens).

5 Die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze wird zwar im Pariser Abkommen als Ziel benannt, das angestrebt werden soll, aber darüber braucht mensch derzeit nicht reden, weil die Zusagen ja selbst für 1,7-Grad („deutlich unter 2 °C“) nicht reichen.

6 Im Montreal-Protokoll wurden allerdings im Gegensatz zum Pariser Abkommen Reduktionsfahrpläne für jedes einzelne Land festgelegt, ein gut gefüllter Unterstützungsfonds für ärmere Länder eingerichtet und auch gewisse Mittel zur Durchsetzung des Abkommens verankert.

Die Shared Socioeconomic Pathways – wie die geopolitische Großwetterlage auf den Klimaschutz wirkt

Die Klimaforschung befasst sich schon seit längerer Zeit auch mit der Frage, wie sich verschiedene weltweite sozio-ökonomische Entwicklungen auf die Klimaschutzbemühungen auswirken. Die aktuelle Form der Betrachtung sind die Shared Socioeconomic Pathways7 (SSP). Das sind fünf verschiedene Szenarien im Hinblick auf die weltweite Kooperation. Für den Klimaschutz am günstigsten ist das Szenario SSP1 (Der Grüne Weg), in dem sich die Welt gemeinsam in Richtung von mehr Klimaschutz und Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs, Agenda 2030) bewegt.

Bis vor einigen Jahren haben wir uns wohl im Szenario SSP2 (Mittelweg) befunden, in dem es in die richtige Richtung geht, aber eben deutlich zu langsam. Es gab in den letzten Jahren schon einige Anzeichen, dass wir uns – statt Fortschritte in Richtung des Grünen Weges (SSP1) zu machen – eher in Richtung des Szenarios SSP3 bewegen, das von regionalen Rivalitäten und wieder erstarkenden Nationalismen geprägt ist. Das Aufkommen der neuen Rechten in Europa, die Trump-Administration, der Brexit, Bolsonaro, Erdogan und andere Phänomene haben eine solche Tendenz erkennen lassen und haben in vielen Fällen schon gezeigt, dass sie ein großes Gefährdungspotential für den Klimaschutz darstellen. Mit der Eskalation in den internationalen Beziehungen durch den Krieg in der Ukraine steht zu befürchten, dass die Bereitschaft zur internationalen Kooperation beim Klimaschutz noch einmal deutlich leidet. Eine Welt, die sich in feindlichen Blöcken gegenüber steht, wird sich auch beim Klimaschutz mit Kooperation und Kompromiss schwer tun. Nicht ohne Grund ist SSP3 das Szenario mit den düstersten Aussichten für den Klimaschutz.

In einer Welt, in der viel Geld für Flüchtlinge (aber auch deren Abwehr => Festung Europa) und Rüstung sowie die Bewältigung von akuten Krisen wie Corona oder Energie-Engpässen ausgegeben wird, ist die Gefahr groß, dass es mal wieder heißt, dass für Klimaschutz oder sozialen Ausgleich nun leider kein Geld mehr da ist.

7 https://www.carbonbrief.org/explainer-how-shared-socioeconomic-pathways-explore-future-climate-change (Englisch)

 

Die Rückkehr zur Kooperation muss hohe Priorität haben

Diese Erwägungen ergeben kein klares Bild davon, wie der Krieg in der Ukraine am besten beendet werden kann oder wie Deutschland, die EU oder die NATO sich nun genau verhalten sollten. Klar ist aber, dass es wichtig ist, nach kooperativen Lösungen zu suchen und mit der Konfrontation maßvoll umzugehen. Was genau das richtige Maß an notwendiger Konfrontation ist, um Russland an den Verhandlungstisch zu drängen, und welche Art des Entgegenkommens als Schwäche interpretiert wird, die die Aggression noch befördert, ist in vielen Fällen nicht eindeutig zu beantworten. Die KSZE und OSZE8 waren einmal Ansätze, die Kooperation zu stärken und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu schaffen. Da diese Organisation im Gegensatz zur NATO, dem russisch geführten Militärbündnis OVKS und den Nationalstaaten aber über keine eigenen Mittel zur Abwehr von völkerrechtswidrigen Handlungen verfügt, bedarf es sicherlich mehr als nur einer Wiederbelebung dieses Formats. Solche an Ausgleich und Kooperation orientierten Ansätze verdienen aber auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit, weil nur sie die Voraussetzungen schaffen, dass die Welt zu einem friedlichen Miteinander kommt und auch bei anderen drängenden Krisen gut zusammen arbeitet. Dass ein solches Format auch nach der russischen Aggression nicht undenkbar ist, kann vielleicht die Ostpolitik von Willy Brandt zeigen: Nur zwei Jahre nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1970 hat er damals seine Politik von Annäherung uns Ausgleich begonnen, die dann zu den Institutionen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE/ OSZE) geführt haben.

Setzen wir uns also im Interesse einer für die breite Masse der Menschen vorteilhaften Entwicklung für internationale Verständigung und Klimaschutz ein. Kein einfaches Unterfangen, aber so bitter nötig, wie vielleicht noch nie.

8 Konferenz (KSZE) bzw. Organisation (OSZE) für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die KSZE ist im Zuge der um Entspannung bemühten Ostpolitik in den 70er Jahren entstanden und hat wesentlich zu einem besseren Ost-West-Verhältnis beigetragen. Die KSZE wurde 1994 operativ gestärkt, um ihr eine bedeutsame Rolle bei der Konfliktverhütung, Friedenserhaltung und der Beilegung regionaler Konflikte zu geben. In diesem Zuge wurde sie auch in die OSZE überführt.