Freiheit und Verantwortung
Selbstwirksamkeit in Unternehmen entfalten
Daniel Dahlhaus
Klimaschutz muss auf der persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Ebene stattfinden. Diese Ebenen stehen in einer kontinuierlichen Wechselwirkung untereinander. Unser Ansatzpunkt bei climactivity ist das Potenzial, welches Einzelpersonen bei der Beeinflussung aller drei Ebenen haben.
Dabei spielen Unternehmen eine besondere Rolle. Sie sind in allen drei Ebenen verzahnt:
- Sie bestehen aus Einzelpersonen, die von Innen Veränderungen anstoßen können und sie wirken sich andersherum auf die Lebenswelt von Einzelpersonen aus.
- Sie sind gesellschaftlich relevant, da sie in der Regel größere Auswirkungen auf Mensch und Natur haben, als Einzelpersonen und da sie soziale Normen maßgeblich mitgestalten.
- Ihr Handeln wird durch die Politik reglementiert und sie können ihrerseits politische Entscheidungen beeinflussen. Lobbyarbeit ist zu einem immer bedeutsameren Faktor geworden.
In welchem Maß diese Punkte zutreffen, hängt von der Größe und den Tätigkeiten eines Unternehmens ab. Eine riesige, internationale Ölfirma mit vielen tausend Mitarbeitenden hat ohne Frage andere ökologische und soziale Auswirkungen als ein kleiner Friseurbetrieb – und trägt somit als Gesamtunternehmen auch eine andere Verantwortung.
Unternehmen genießen die Freiheit, Profit mit Produkten und Dienstleistungen zu erwirtschaften. Die Balance zwischen profitorientierter Freiheit auf der einen und ökologischer und sozialer Verantwortung auf der anderen Seite wird dabei zwischen Wirtschaft und Politik stetig verhandelt. Dieser Beitrag beschäftigt sich allerdings nicht näher mit Lobbyismus, denn dieses wichtige Phänomen ist komplex und verdient eine ausführliche gesonderte Auseinandersetzung an anderer Stelle.
Es geht hier primär um die folgende Frage: Welche Rolle können einzelne Personen in Unternehmen – ob auf der Führungsebene oder in der Belegschaft – in diesem komplizierten Prozess spielen?
Von den kleinen und großen Veränderungen
Manche von uns kennen noch diesen Satz aus den Signaturen in vielen E-Mails, die mensch im Büro bekommen hat: „Bitte drucken Sie diese Mail der Umwelt zuliebe nicht aus.“ Dies stammt aus einer Zeit, in der noch deutlich mehr E-Mails sicherheitshalber für die Handakte ausgedruckt wurden. Vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht aufgrund betrieblicher Bestimmungen. Hier geschieht ein Wandel, der zunächst banal und kaum weltrettend erscheint. Doch diese kleine Verschiebung der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit führt dazu, dass immer mehr Personen in immer mehr Büros weniger Papier verbrauchen. Und dabei ist nicht nur das verbrauchte Papier als greifbarer Effekt wichtig, sondern auch die Intention: Eine liebgewonnene Gewohnheit oder betriebliche Notwendigkeit wird hinterfragt und verändert. Das Unternehmen funktioniert weiterhin, nachdem trotz möglicher Widerstände in der Belegschaft, nötiger Investitionen in die Digitalisierung und einer Neueinstellung betrieblicher Abläufe der Wandel gelungen ist. Und letztlich fällt dann oft auf, dass die neuen Systeme sogar effizienter sind und mehr Möglichkeiten bieten.
Auch die Neuausrichtung der Produktpalette von Unternehmen ist ein gutes Beispiel. Die Rügenwalder Mühle ist bekannt für ihr wachsendes Angebot an vegetarischen und veganen Fleischersatzprodukten. Diese Veränderung soll der ehemalige Marketingchef Godo Röben maßgeblich mitgestaltet haben.1 Sie entspringt natürlich nicht purem Idealismus, sondern basiert auf marktwirtschaftlichem Kalkül. Dennoch ist sie ein Schritt in eine bessere Richtung und kann als Inspiration dienen.
Wer hat die Freiheit, Verantwortung zu tragen?
Bei diesen Beispielen lässt sich zurecht fragen: Wer hat überhaupt die Macht, solche Veränderungen in Gang zu bringen? Manchmal steht eine Einzelperson für eine bestimmte Veränderung, wie in Godo Röbens Beispiel. Die Reduzierung des Papierverbrauchs in Büros hingegen wird nicht auf eine Einzelperson zurückgeführt. Tatsächlich bilden in beiden Fällen gesellschaftliche Prozesse, die sich aus den Aktivitäten und Interaktionen von Einzelpersonen und Gruppen zusammensetzen, die Veränderung. Godo Röben ist nicht allein verantwortlich für das veränderte Angebot der Rügenwalder Mühle. Er hat ein Team und Führungskräfte um sich herum, die Entscheidungen mitgestalten und sich bei der Umsetzung beteiligen müssen. Ohne die realistische Erwartung, dass die Produkte gekauft werden, wäre dieser Schritt zudem nicht möglich gewesen. Auch wenn eine Person oft das Gesicht einer bestimmten Veränderung wird, sind immer Gruppen an den verschiedenen Phasen einer Veränderung beteiligt und bestimmte Bedingungen müssen vorhanden sein.
Bei der Umstellung auf ein zunehmend papierloses Büro wird es auch Schlüsselpersonen geben, die die Innovation maßgeblich mit ihren Ideen und Aktivitäten angetrieben haben und weiterentwickeln werden. Dennoch benötigen Ideen immer eine stetig wachsende Gruppe von Leuten, die sie mittragen, damit sie sich verbreiten und gesellschaftlich relevant werden können. Eine Überbewertung einzelner Personen oder bestimmter Rollen ist daher nicht angemessen.
Denn auch Mitarbeiter:innen, die keine Entscheidungspositionen in ihren Unternehmen innehaben, haben die Freiheit, verantwortlich für Veränderungen zu sein. Es ist nicht so wichtig, wer eine Idee hat. Viel bedeutsamer ist die Bereitschaft, für eine gute Idee Veränderungen in Kauf zu nehmen und sich bei der Umsetzung aktiv einzubringen. Außerdem sollte ein offenes Ohr für Ideen innerhalb von Hierarchien bestehen: Vorgesetzte sollten die Kreativität ihrer Belegschaft aktivieren und nutzen; Mitarbeiter:innen sollten sich konstruktiven Vorschlägen von Vorgesetzten öffnen. Keine der beiden Seiten kann die Verantwortung gänzlich der anderen Seite zuschieben – ob es nun um die Initialisierung, Gestaltung oder Umsetzung einer Veränderung geht. Letztlich sind wir alle Menschen, die in derselben Welt leben und denselben Naturgesetzen unterliegen. Die soziale Rolle macht dabei keinen Unterschied. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, nützt es niemandem, sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben. Dieses Problem sehen wir in Wirtschaft und Politik leider ständig.
Ideen für Veränderungen im Unternehmen
Was kann mensch nun ganz konkret im eigenen Unternehmen tun – unabhängig von der Position? Es gibt zu viele verschiedene Bereiche, um für alle Arten von Unternehmen ein Beispiel zu nennen. Allgemein und grundsätzlich gilt: Es ist am besten, klimafreundliche Veränderungen in Form von bindenden Richtlinien festzusetzen. So sind die dringend notwendigen Veränderungen nicht von den Vorlieben und der Veränderungsbereitschaft von Einzelnen abhängig.
Unternehmen können Mitglied in Initiativen wie einfach-jetzt-machen2, dem Carbon Disclosure Project3 oder der Science Based Targets Initiative4 werden, die entsprechende Richtlinien schon vorgeben und Orientierung bieten können. Betriebliches Umweltmanagement auf Basis des europäischen Systems EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) führt ebenfalls zu mess- und vergleichbaren Standards.5 Jed:er kann anregen, dass das eigene Unternehmen solche Systeme einführt und bringt damit vielleicht den Stein für einen systematischen Wandel ins Rollen.
Die folgende Liste zeigt Bereiche, in denen der klimafreundliche Wandel in Unternehmen – bestenfalls in Form verbindlicher Richtlinien – angeregt werden kann:
- Falls es eine Kantine gibt, kann angestoßen werden, dort pflanzenbasierte Essensangebote zu vermehren und prominenter zu präsentieren. Fleisch und andere Zutaten sollten aus möglichst ethischen und ökologischen Quellen zu beziehen. Eigene Erfahrungen und Rezepte können geteilt werden, falls den Mitarbeiter:innen der Kantine Inspiration fehlt.
- Falls Reisen (vor allem mit dem Flugzeug) zum Unternehmensalltag gehören, kann eine vermehrte Nutzung von Online-Meetings oder alternativen Reiseformen und am besten deren Verankerung in der Dienstreise-Richtlinie vorgeschlagen werden.
- Im Unternehmen verwendete und verarbeitete Ressourcen können aus ökologisch und sozial nachhaltigen Quellen bezogen werden.
- Ein Wandel zum papierfreien und energiesparenden Betrieb kann unterstützt werden. Benötigte Ressourcen können aus möglichst nachhaltigen Quellen bezogen werden.
- Es kann angeregt werden, E-Bikes zur Verfügung zu stellen oder Firmentickets für den ÖPNV anzubieten. So wird Beschäftigten eine Alternative zum Auto geboten.
- Das Unternehmen kann nachhaltige Angebote in den Bereichen Versicherung und Banking wählen.
- Es könnte eine Person oder eine AG für Klimaschutz und Nachhaltigkeit gegründet werden. Ähnlich wie Betriebsräte, die wichtige Arbeit für die Rechte von Beschäftigten machen und dafür während ihrer Dienstzeit freigestellt werden, könnte auch eine Klimaschutz-AG für ihre wichtige Aufgabe freigestellt werden.
Diese Liste ist nicht abschließend. Es gibt viele Möglichkeiten innerhalb des Unternehmens Verantwortung für Klimaschutz zu übernehmen. Einerseits durch persönliches Verhalten, indem keine E-Mail mehr ausgedruckt, in der Kantine das pflanzliche Gericht gewählt oder auf Heizung und Licht geachtet wird. Andererseits durch Einflussnahme auf die Abläufe und Gewohnheiten des Unternehmens – damit es überhaupt ein pflanzliches Gericht in der Kantine gibt. Hand- und Fußabdruck beeinflussen und unterstützen sich gegenseitig und sollten kohärent sein, um die höchste Wirkung zu erzielen.
Je mehr Menschen ihre Freiheit nutzen, Verantwortung in ihren Unternehmen zu verwirklichen, desto mehr weitere Menschen können sich ihrer Freiheit und Verantwortung bewusst werden und Inspiration erhalten, auch etwas zu ändern und so das Unternehmen zu transformieren.
Je mehr Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen, die Welt in der sie agieren zu schützen, desto mehr andere Unternehmen können sich ein Vorbild nehmen und von den konkreten Veränderungen lernen.
So können die Menschen in einem stetigen Transformationsprozess gesunde Unternehmen kreieren, die ihrerseits die Gesundheit der Menschen und ihrer Umwelt fördern und die oberste wirtschaftliche Maxime der Profitmaximierung um jeden Preis durch eine Orientierung ersetzen, die soziale und ökologische Gerechtigkeit als höchstes Gut hält und gleichzeitig wirtschaftlich bestehen kann. Eine solche Entwicklung des wirtschaftlichen Gesamtsystems ist nur gemeinsam möglich, indem Unternehmen und Konsument:innen zunehmend ethische Werte höher gewichten als persönliche ökonomische Optimierung. Denn jede wirtschaftende Person muss letztlich entscheiden, für welche Art von Freiheit sie sich einsetzen möchte: Für grenzenloses Wirtschaftswachstum, welches zunehmend das ökologische System der Erde zerstört und die soziale Ungleichheit vergrößert oder für eine verantwortungsvolle Wirtschaft, die allen Menschen in gleichem Maße dient und die Grenzen der natürlichen Ressourcen unseres Planeten respektiert.