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Freiheit und Verantwortung
Reicher werden durch Teilen

Daniel Dahlhaus

Ein geräumiges Zuhause zu haben und viel Eigentum zu besitzen ist für viele ein Zeichen von Wohlstand und Freiheit. Und da ist natürlich auch was dran. Je weniger Menschen sich einen Wohnraum teilen, desto freier sind die Bewohner:innen bei der Gestaltung. Es gibt niemanden, den die eigenen Gewohnheiten stören und umgekehrt. Das Badezimmer ist stets frei, wenn es benötigt wird.

Das wird ergänzt durch schöne und nützliche Dinge, die zur eigenen Nutzung jederzeit frei verfügbar sind: Auto, Werkzeug, Elektronik für den Haushalt oder zur Unterhaltung und andere Annehmlichkeiten des modernen Lebens. Das alles bietet viel Komfort und ist eine gute Sache.

Doch diese individualistische Entwicklung des Umgangs mit Wohnraum und Eigentum hat auch eine Kehrseite. Der Mensch scheint eine Tendenz zu haben, sich schnell an Dinge zu gewöhnen und seinen Komfort weiter ausdehnen zu wollen. Das kann zu verschiedenen Problemen führen. Eine Gewohnheit kann zu einer Abhängigkeit werden. Diese kann zur Folge haben, dass kein gesundes Maß mehr bei der Anhäufung von Besitz oder der Nutzung von Ressourcen gewahrt wird. Neue Möglichkeiten, die anfangs als Luxus in das menschliche Leben Einzug gehalten haben, werden zur Selbstverständlichkeit und letztlich gar als Grundrecht wahrgenommen. Oft und vor allem zu Beginn nur privilegierten Mitgliedern der Gesellschaftlich zugänglich, werden sie zu Statussymbolen. Pro Familienmitglied gibt es ein Auto, einen Fernseher und einen Computer. Das Haus sollte möglichst groß und modern sein. In wohlhabenden Kreisen werden Hauswirtschaftskräfte und Gärtner:innen benötigt, um alles instand zu halten. Viele weniger wohlhabende Menschen träumen von diesem Leben.

Dies ist natürlich nur eine von vielen Facetten, die menschliches Handeln antreiben und könnte in einer schwarz-weiß Darstellung als extremer Individualismus verstanden werden. Auf der anderen Seite stünde extremer Kollektivismus, in dessen Rahmen eigener Besitz verpönt oder verboten wäre und das Teilen zur Verpflichtung würde. In diesem Beitrag soll versucht werden, eine gesunde Mitte zwischen diesen Extremen herauszuarbeiten. Das Ergebnis sollte gut für die Menschen und die Umwelt sein. Es sollte vernünftig und logisch sein, so dass es ohne Zwang von Institutionen umgesetzt werden kann. Es sollte sich außerdem für den empathischen Geist intuitiv richtig anfühlen, so dass „Kopf und Herz“ im Einklang sind.

Die Studi-WG: Aus der Not geboren, ans Herz gewachsen

Studierende leben häufig in Wohngemeinschaften. Das Geld ist in dieser Lebensphase meist knapp und die Miete für eine Wohnung zu teilen ist erheblich günstiger. Doch der Kostenfaktor ist oft nicht der einzige Grund, der für eine WG spricht. Viele Studierende verlassen ihre Heimat und wollen in ihrer neuen Stadt Freundschaften mit Gleichgesinnten schließen und ihre Studienzeit mit schönen, gemeinsamen Erfahrungen bereichern.

Neben dem Teilen der Miete können auch alle möglichen Dinge gemeinsam benutzt werden. Eine Person bringt vielleicht ein paar Küchengegenstände oder Werkzeuge mit, eine andere hat ein Sofa und einen Fernseher. Das heißt natürlich nicht, dass sich in einer Wohngemeinschaft alle immer alles teilen müssen. Vielleicht möchte jemand einen eigenen Fernseher zum Videospielen im WG-Zimmer haben und das ist auch in Ordnung. Doch viele Dinge benötigt mensch vielleicht nicht für sich allein und kann nicht nur die finanziellen Vorteile des gemeinsamen Benutzens genießen, sondern auch beim gemeinsamen Kochen oder Filmeabend die ein oder andere Freundschaft vertiefen. Viele Mensche machen in ihrer WG-Zeit die Erfahrung, dass teilen sie bereichert – in Form von Freundschaften und gemeinsamen Erlebnissen.

Das gilt nicht nur für WGs, sondern auch für Mehrfamilienhäuser. Hier geht der Kontakt unter den Bewohner:innen oft nicht über einen Gruß im Hausflur hinaus. Dabei könnten auch hier nicht nur Dinge verliehen oder ausgeliehen, sondern auch in gemeinschaftlichen Aktivitäten  benutzt werden. Ein Grill im Hausgarten kann die verschiedenen Menschen zusammen bringen und mehr Nähe schaffen. Vertrauen kann entstehen, so dass sich alle im Haus wohler fühlen. Wer vergesslich ist, kann ein Leihbuch führen – so gerät nicht in Vergessenheit, wer gerade die Zange ausgeliehen hat. Vielleicht kann ein Aushang im Hausflur mit einem freundlichen Angebot (oder einer freundlichen Anfrage) den Stein ins Rollen bringen.

Hier soll nicht verschwiegen werden, dass ein solches Zusammenleben auch Herausforderungen birgt. Vertrauen muss erst wachsen, Kommunikation muss geübt werden und manchmal ist Geduld notwendig. Doch an Herausforderungen kann mensch wachsen. Denn Vertrauen, eine gute Gesprächskultur, Zuverlässigkeit, Toleranz und Geduld sind für eine diverse und gesunde Gesellschaft essenziell. Wohn- und Hausgemeinschaften sind ein guter Ort, um diese Fähigkeiten gemeinsam zu entwickeln. Letztlich werden alle Beteiligten davon profitieren und sich in einer Weise entwickeln, die dem gesamten Gesellschaftlichen Leben zugutekommt. Denn auch am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben sind diese Eigenschaften vorbildlich und hilfreich.

Die gelangweilte Bohrmaschine

Eigene Dinge zu besitzen ist bequem und nicht verwerflich. Wenn mensch allerdings in Betracht zieht, dass die durchschnittliche Bohrmaschine insgesamt nur 13 Minuten ihrer Existenzdauer genutzt wird, ist das doch sehr schade in Anbetracht der Ressourcen, die in so einer Bohrmaschine stecken. So kann das Teilen von Gegenständen neben sozialen und finanziellen Vorteilen auch zu einer viel effizienteren Nutzung unserer begrenzten Ressourcen führen. Nicht nur in WGs oder Hausgemeinschaften können die verschiedensten Dinge gemeinsam genutzt werden, sondern auch in der erweiterten Nachbarschaft.

Die vielen ungenutzten Werkzeuge und anderen Gegenstände auf vielen Dachböden sind nicht nur eine traurige Verschwendung, sondern frustrieren oft auch ihre Eigentümer:innen. Die Dinge müssen entstaubt werden und machen vielleicht ein schlechtes Gewissen, wenn man sie Jahr für Jahr einsam herumliegen sieht. Bei Umzügen werden sie mitgeschleppt und werfen die Frage auf, warum mensch sie sich überhaupt angeschafft hat. Gebrauchsgegenstände tragen ihre Bezeichnung nicht ohne Grund. Es macht viel mehr Freude, sie tatsächlich zu gebrauchen.

Die dunklen Seiten des Besitzes

Der Denker Erich Fromm unterscheidet zwischen funktionalem Besitz und charakterbedingtem Besitz1: „Um überleben zu können, ist es erforderlich, daß wir bestimmte Dinge haben, behalten, pflegen und gebrauchen. Dies gilt für unseren Körper, für Nahrung, Wohnung, Kleidung und für die Werkzeuge, die zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse vonnöten sind.“ Dies ist für Fromm funktionaler Besitz und er betont auch das Pflegen und Gebrauchen dieser wichtigen Dinge.

Hinter dem charakterbedingten Besitz hingegen verbirgt sich Eigentum, welches mit existenziellen Grundbedürfnissen nichts zu tun hat. Beispiele hierfür sind große Sammlungen von Markenkleidung oder der regelmäßige Kauf des neuesten Smartphone-Modells. Dabei werden leider zumeist auch Unternehmen unterstützt, die Mensch und Natur ausbeuten und ihre Produkte gezielt so entwerfen und vermarkten, dass sie entweder nicht lange halten, nicht repariert werden können oder aber als Statussymbol dienen.

Ein genauer Blick auf charakterbedingten Besitz zeigt, dass er nicht das Glück bringt, welches er verspricht. Er ist ein Fass ohne Boden, denn es werden immer neue Trends geschaffen, denen die Menschen hinterherlaufen müssen. Das kostet viel Geld und verbraucht viele Ressourcen. Statt Gemeinschaft zu fördern, wird eher Wettbewerb gefördert: Wer hat das neueste Modell, wer die teuersten Schuhe?

Eine Besinnung auf funktionalen Besitz hingegen betont positive Werte. Sinnvolle Gegenstände werden in vernünftigem Maße genutzt. Ihr Wert wird erkannt und sie werden entsprechend gepflegt. Sie werden nicht zu einem Teil der Identität ihrer Besitzer:innen gemacht, sondern als das gesehen, was sie sind: Nutzgegenstände. In nostalgischen Berichten aus guten WG-Zeiten wird selten von der beeindruckenden Schuhsammlung der anderen Bewohner:innen berichtet. Stattdessen geht es um gemeinsame Erlebnisse. Dabei spielt es keine Rolle, wem die Dinge gehört haben, die bei diesen Erlebnissen benutzt wurden. Wichtig ist, dass die Menschen zusammen waren. Die Gemeinschaft ist die Essenz des guten Lebens, nicht die Dinge. Deshalb macht teilen die Menschen reicher.

1 Erich Fromm (1979): Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. S. 108.

Freiheit und Verantwortung beim Teilen

Dieser Beitrag soll eine frische Perspektive auf das Verständnis werfen, dass absolute individuelle Freiheit die einzige Freiheit ist. Dass die Menschheit zahlenmäßig wächst und gleichzeitig jeder Einzelne mehr Wohnraum und Dinge besitzen kann, ist nicht möglich. Was aber viel wichtiger ist: Es ist auch nicht der optimale Weg. Der Mensch ist ein hochgradig soziales Wesen. Das Teilen liegt genauso in seiner Natur wie das Bedürfnis nach dem Eigenen. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude. Individuum und Kollektiv gehören untrennbar zusammen. Beide Aspekte müssen Entfaltung und Berücksichtigung finden. Eine individuelle Persönlichkeit kann sich am besten in einem gesunden Kollektiv entwickeln. Ein unangemessener Wachstumsdrang nimmt den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Platz, selbst auch zu wachsen und führt in einen unglücklichen Egozentrismus.

Gemeinsames Wohnen und Benutzen von Gegenständen hat wundervolles Potenzial. Es kann ein fruchtbarer Boden für Freundschaften und die Entwicklung einer starken sozialen Persönlichkeit sein, die gleichzeitig zu einem starken und selbstfürsorglichen Individuum gehört. Doch damit dieser Boden fruchtbar ist, braucht es geschickte Gärtner:innen. Diese müssen Rücksicht, Verständnis, Toleranz und Geduld kultivieren. Ein konstruktiver Dialog ist unbedingt notwendig, damit die verschiedenen Vorstellungen über die Gestaltung des gemeinsamen Gartens in einem Kompromiss münden können, mit dem sich alle wohlfühlen. Alle sollten sich in angemessenem Maße einbringen, aber auch zurückhalten können. Dann kann das Leben in diesem Garten gelingen und erfüllend sein.