Wenn in Lützerath Unrecht zu Recht wird, …
Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity
In Lützerath haben in den letzten Tagen und Jahren Menschen das Recht auf körperliche Unversehrtheit gegen ein staatlich eingeräumtes Unrecht auf die Schädigung des Klimas verteidigt. Auf der einen Seite steht das vom Staat gewährte und dann auch mit polizeilichen Mitteln durchgesetzte Unrecht, dass der Energiekonzern RWE mit dem Anfeuern der Klimakrise satte Profite machen darf, Auf der anderen Seite geht es um das Wohlergehen derjenigen, die jetzt und in Zukunft von der Klimakrise betroffen sind. Das trifft insbesondere Menschen, die sehr wenig zu ihr beigetragen haben, aber durch ihre Folgen Hab und Gut oder sogar ihr Leben verlieren. Beispiele dafür gibt es reichlich: von der Flutkatastrophe in Pakistan über die Hungersnot aufgrund einer außergewöhnlichen Dürre in Ostafrika bis hin zum Verlust von fruchtbarem Ackerland in Bangladesch durch eine Zunahme von Überflutungen aufgrund stärkerer Monsune.
Der Deal mit RWE: Guter Kompromiss oder Todesstoß für die Klimaziele?
Die Bundesregierung und die Landesregierung von NRW stellen die mit RWE ausgehandelte Vereinbarung als einen großen Fortschritt für den Klimaschutz dar, der jetzt akzeptiert werden müsse. Natürlich klingt es gut, wenn der Kohleausstieg im rheinischen Braunkohlerevier von 2038 auf 2030 vorgezogen wird. Fraglich wird es, wenn gar nicht klar ist, ob durch diese Vereinbarung am Ende wirklich weniger Braunkohle verfeuert wird.1 Aber letztlich muss die Frage, ob die Vereinbarung eine angemessene Antwort auf die Klimakrise ist, daran gemessen werden, ob Deutschland auf der Basis dieser Vereinbarung seinen Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen in angemessener Weise nachkommt. Der Climate Action Tracker evaluiert regelmäßig die deutsche Klimaschutzpolitik und ist zuletzt (mal wieder) zu dem Ergebnis gekommen, dass diese unzureichend ist.2 Vor diesem Hintergrund hat die Klimabewegung jedes Recht, gegen die mit RWE getroffene Vereinbarung zu protestieren, egal wie viele Rechtsansprüche RWE formal haben mag. Wenn diese nicht mit dem völkerrechtlich verbindlichen Pariser Abkommen vereinbar sind, müssen (natürlich rechtsstaatliche) Wege gefunden werden, diese Ansprüche zu beschneiden.
Der Klimaschaden ist nicht alternativlos
Die Liste der nicht genutzten Möglichkeiten, um den Klimaschutz voranzubringen, ist lang: Vom Tempolimit über eine Beschleunigung des Zubaus von erneuerbaren Energien bis hin zur Renovierungswelle, um die Bestandsgebäude energetisch zu sanieren. Nicht alles davon würde den Strom- und damit auch den Braunkohlebedarf reduzieren. Aber auch in diesem Bereich gibt es einige verpasste Chancen: Wenn es möglich ist, LNG-Terminals innerhalb von einem halben Jahr zu genehmigen, warum werden dann nicht mal eben die über 2000 Windkraftanlagen (10 GW) genehmigt, für die Anträge bei den Behörden der Länder gestellt sind? Wo ist die Kraftanstrengung, die dafür sorgt, dass der Zubau von Wind und Sonne schnell und umfangreich passiert? Warum wird das Stromsparen in Industrie und Privathaushalten nicht durch progressive Tarife angereizt, bei denen der Stromverbrauch, der über einen Grundbedarf hinaus geht, deutlich teurer ist? Wo sind Programme, die Menschen dazu motivieren, weniger Produkte zu konsumieren, und die den Energiebedarf der Industrie dadurch senken, dass schlicht weniger Dinge gekauft werden, die (fast) ungenutzt die Wohnungen und Häuser voll rümpeln?
Wie viel Braunkohle wird wirklich noch benötigt?
Bevor all dies nicht in Angriff genommen wird, ist es das falsche Signal, die Option auf noch viel mehr Braunkohlestrom jetzt schon mal zu schaffen. Denn die Kohle unter Lützerath wird selbst in den Studien, die der Entscheidung zugrunde liegen, nur dann gebraucht, wenn sich die anvisierten, teilweise fraglichen1 Bedarfe zu mehr als 95 % auch wirklich ergeben.
Zur Beurteilung, wie viel Braunkohle noch benötigt wird, muss die Maßgabe sein: So wenig wie möglich. Leider können die Braunkohlekraftwerke nicht von heute auf morgen stillgelegt werden, weil die erneuerbaren Energien viele Jahre massiv behindert wurden.2 Aber die Mengen an Braunkohle, deren Abbau jetzt vorbereitet wird, werden nach der Einschätzung vieler Expert:innen nicht in diesem Umfang benötigt uns sie sind nicht mit der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze vereinbar.3 Genau deshalb war die Räumung so unverantwortlich.
1 Fast ein Drittel der Braunkohle ist für die Veredlung vorgesehen, aber Braunkohlebriketts als eine Form der Veredlung werden seit Ende 2022 im Rheinland gar nicht mehr hergestellt: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/die-letzten-briketts-im-westen-gepresst-100.html
2 Um dies noch mal in Erinnerung zu rufen: 2012 ist mit 8,2 GW immer noch das Jahr mit der größten Menge an installierter Photovoltaik. Dann wurde von der schwarz-gelben Regierung eine EEG-Reform beschlossen, die dafür gesorgt hat, dass die installierte Leistung auf weniger als ein Fünftel eingebrochen ist und 100.000 Arbeitsplätze im Solarsektor vernichtet wurde (was ohne mit der Wimper zu zucken und ohne Strukturhilfen durchgezogen wurde). Siehe auch dieses Interview mit Hans-Josef Fell: https://www.klimareporter.de/energiewende/gruene-haetten-rwe-nicht-nachgeben-duerfen
3 https://www.klimareporter.de/protest/luetzerath-als-1-5-grad-grenze. Download der zugehörigen Studie auf: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
Denen eine Stimme geben, die hier nicht mitreden dürfen
Es wurde immer wieder darauf verwiesen, dass die Rechtsfragen rund um den Braunkohleabbau und den Abriss von Lützerath gerichtlich final geklärt sind und dass dies nun respektiert werden müsse.1 Ein wesentlicher Schwachpunkt dieser Argumentation ist allerdings, dass viele Menschen, die vom Handeln von RWE (also vom CO2-Ausstoß der Braunkohlekraftwerke) betroffen sind, im Rahmen der vorgesehenen demokratischen Beteiligungsprozesse überhaupt keine Rechte oder keine Stimme haben. Die Menschen, die vornehmlich im globalen Süden hungern oder von Wirbelstürmen, Hochwassern, Waldbränden und Sturmfluten getroffen werden, haben kein Klagerecht gegen diejenigen, die mit ihren Emissionen diese Katastrophen befeuern. Und die jungen (oder auch ungeborenen) Menschen hier in Deutschland, die noch sehr viel stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen sein werden, werden erst wählen dürfen, wenn die wichtigsten Entscheidungen und Weichenstellungen längst gemacht wurden. Da ist es nur gut, wenn es Menschen gibt, die auch in Stellvertretung für die eben Genannten deutlich machen, dass hier das Recht auf möglichst geringe Klimaschäden gegen das Unrecht auf Klimaschädigung verteidigt werden muss.
1 Hier ein Interview mit Omid Nouripour zu dieser Frage: https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/omid-nouripour-146.html
Keep it in the ground!
Der Weiler Lützerath ist geräumt und abgerissen, die dort stehenden Bäume sind gefällt und RWE will die Tagebaukante noch in diesem Frühjahr so weit vorantreiben, dass auch der Boden, auf dem Lützerath stand, verschwunden sein wird. Aber die Kohle unter Lützerath ist noch im Boden und sie wird es auch noch eine ganze Weile bleiben. Und letztlich ist es das, worauf es für den Klimaschutz am meisten ankommt: dass die Kohle nicht nur vorläufig, sondern für immer im Boden bleibt. Dafür können und müssen wir uns weiter einsetzen. Ob das nun Demonstrationen vor Ort, bei den Niederlassungen von RWE oder vor den Parteibüros sind, ob es Gruben- und Baggerbesetzungen oder Kraftwerksblockaden sind oder Petitionen und Anrufe bei den politisch Verantwortlichen: Es gibt noch viel zu tun. Packen wir‘s an!