Menü Schließen

Deutschland in der Klima-Schuldenkrise

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Auf dem diesjährigen Klimagipfel in Sharm el Sheikh, der COP 27, wurde zum ersten Mal in der Geschichte dieser Konferenzen ernsthaft über die Einrichtung eines Topfs gesprochen, aus dem Schäden und Verluste (loss and damage) ausgeglichen werden sollen, die im Zuge von klimakrisebedingten Katastrophen entstehen. Deutschland hat dabei wesentlich an einem Vorstoß mitgewirkt, als ersten Schritt eine Art Versicherungslösung, das Global Shield1, kurzfristig einzurichten, die im Katastrophenfall zahlt. Deutschland hat auch seine Bereitschaft erklärt, diese Lösung mit 170 Millionen € zu unterstützen. Es ist auf jeden Fall gut, dass das Thema Schäden und Verluste thematisiert wurde und Deutschland dabei eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Es ist allerdings umstritten, wie gelungen der vorgeschlagene Mechanismus. Zum Teil wird er massiv kritisiert.2 Aber ganz unabhängig von der konkreten Ausgestaltung ist der grundsätzliche Blick der meisten Akteure auf das Thema im globalen Norden und eben auch in Deutschland höchst problematisch.

Danke an Christine Roy auf Unsplash

Umweltschadensrecht: Verantwortung übernehmen ist eine Pflicht, keine Großzügigkeit

Wenn ein Chemiewerk Anwohner:innen schädigt, weil es das mit der Sorgfalt nicht so genau nimmt oder auch nur weil es sich bestimmter Gefahren nicht bewusst ist, dann ist vom Grundsatz her klar, dass die Betroffenen Anspruch auf Schadensersatz haben. Warum gilt dieser Grundsatz bei Schäden in Folge der Klimakrise nicht?
Inzwischen sind so ziemlich alle dafür benötigten Puzzleteile beisammen: Es ist klar, dass Treibhausgase die Temperaturen ansteigen lassen, es ist in etwa klar, welches Land wie viel Treibhausgase ausgestoßen hat und mit Hilfe der Attributionsforschung lässt sich unterscheiden, was noch ein normales Wetterextrem ist und wo eine klimakrisenbedingte Katastrophe vorliegt.
Das „einzige“ Problem: Die Länder, die reich geworden sind mit der Förderung und Nutzung der fossilen Energien, wären zu sehr hohem Schadensersatz verpflichtet. Da sie gleichzeitig und nicht ganz zufällig die mächtigen Länder dieser Welt sind, verhindern sie, dass das Problem der Schäden und Verluste (loss and damage) aus dieser Perspektive angegangen wird. Genau deshalb soll diese Perspektive hier mal eingenommen werden. Das Bild ändert sich dann kräftig.

Überflutungen im Ahrtal, in Pakistan und Westafrika

Die Klimakrise richtet schon jetzt, bei etwa 1,1 Grad Erwärmung, deutliche Schäden an. In Deutschland waren sie bei der Ahrtal-Katastrophe1 und der diesjährigen Hitze und Dürre unübersehbar2; die Überflutungen in Pakistan waren dramatisch3 und haben vielen Überlebenden ihr gesamtes Hab und Gut genommen. Etwas unbekannter sind die weiträumigen Überschwemmungen in Westafrika, die 1,5 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben und gut 600 Menschen das Leben kosteten.4

Bei den Überschwemmungen in Westafrika zeigt die Attributionsforschung sehr klar, dass der Klimawandel ein wesentlicher Treiber war.5 Für Pakistan steht die Analyse noch aus und beim Ahrtal ergeben die Analysen ein Spektrum von etwas bis sehr viel wahrscheinlicher.6

Im Gegensatz zu Deutschland, das die Betroffenen im Ahrtal kräftig unterstützt, haben Pakistan und die westafrikanischen Staaten nicht die finanziellen Mittel, ihren Bürger:innen großzügig unter die Arme zu greifen. Die meisten Menschen dort konnten sich auch keine Versicherungen leisten, die jetzt für Schäden aufkommen würden. Die UNO schätzt die Verluste und Schäden in Pakistan auf 30 Mrd US$.7 Da es sich um eine Katastrophe handelt, die sich in dieser Form wohl nur mit Klimakrise ereignen konnte, sollten jetzt die Verursacher für die Schäden aufkommen. Das könnte über so einen loss-and-damage-Topf geregelt werden, über den auf der Klimakonferenz in Sharm el Sheik dieser Tage verhandelt wurde. Deutschland ist für 5 % aller seit der Industrialisierung ausgestoßenen CO2-Emissionen verantwortlich8. Ein gerechter Anteil an den Schäden in Pakistan wären also etwa 1,5 Mrd €, fast das Zehnfache dessen, was von Deutschland für den Vorläufer des weltweiten(!) Topfs, das Global Shield jetzt zugesagt wurde.

Natürlich sind das Global Shield und die 170 Millionen Euro nur der erste Schritt, sodass es u.U. nicht gerecht ist, diesen ersten kleinen Schritt an den Klimaschadenskosten einer der größten Katastrophen dieses Jahres zu messen. Aber wie viel größer müsste der Beitrag sein?

Deutschlands Klimaschulden: circa 20 Billionen Euro

Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass jede Tonne CO2eq Klimaschäden in Höhe von etwa 200 € nach sich zieht.1 Deutschland hat im Laufe seiner Geschichte etwa 100 Mrd Tonnen CO2eq ausgestoßen.2 Der so verursachte Schaden beläuft sich damit auf etwa 20 Billionen €. Das wäre die Größenordnung eines gerechten deutschen Beitrags zu dem loss-and-damage-Topf nach dem Verursacherprinzip. Da die Schäden über einen Zeitraum von vielen Jahrzehnten entstehen werden, kann auch die Einzahlung über einen Zeitraum von 100 Jahren erfolgen. Das wären dann 200 Mrd € pro Jahr, also gut das Tausendfache dessen, was jetzt zugesagt wurde, oder ein, wie es der Bundeskanzler Olaf Scholz benannt hat, „Doppel-Wumms“ in jedem Jahr über die nächsten 100 Jahre.

Nur um auf eine andere Weise noch mal ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen, gebe ich hier noch die Höhe der Schulden an, die in meiner Lebenszeit pro Kopf verursacht wurden: Deutschland hat in diesem Zeitraum von 55 Jahren etwa 55 Mrd. Tonnen CO2eq emittiert. Aufgeteilt auf alle Einwohner:innen ergeben sich für mich dann etwa 700 Tonnen, die Umweltschadenskosten in Höhe von etwa 140.000 € nach sich ziehen.

Diese Zahlen machen schwindelig und eine entsprechende Zahlungsverpflichtung mag unrealistisch erscheinen. Aber die Schäden werden nicht kleiner davon, dass sie von den Verursachern nicht übernommen und keine Rücklagen zur Behebung zukünftiger Schäden gebildet werden.

Die AKW-Betreiber mussten zwar nicht genug, aber immerhin etwas in einen Topf zahlen, damit die Endlagerung finanziert werden kann. Bei den fossilen Brennstoffen gibt es überhaupt keine Übernahme von Schadenskosten und keine Rücklagen für die absehbaren Schäden. Das bedeutet: es wird anderen überlassen, mit den Schäden klar zu kommen. Das ist der Kern der schreienden internationalen und intergenerationellen Ungerechtigkeit: Wir bürden Menschen an anderen Stellen der Welt, die oft wenig zu den Treibhausgas-Emissionen beigetragen haben, und den Menschen, die später leben, die Kosten auf, die unser hemmungsloser Einsatz fossiler Energieträger über Jahrzehnte verursacht hat und immer noch verursacht.

1https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen#klimakosten-von-treibhausgas-emissionen
2 Die 100 Mrd tCO2eq setzen sich zusammen aus den in der Quelle genannten gut 90 Tonnen emittierten CO2 auf die gut 10 % aufgeschalgen werden müssen für die Emission anderer Treibhausgase https://ourworldindata.org/co2-emissions#cumulative-co2-emissions

Klimaschutz und Klimaanpassung vermeiden Klimaschulden

Wie würden die Staaten und Unternehmen handeln, die die Schäden und Verluste der Klimakrise verursacht haben und immer noch verursachen, wenn sie für diese auch aufkommen müssten? Was also, wenn das Problem der Klimaschäden zumindest von der finanziellen Seite her1 eins wäre, was auf den Schultern der großen Emittenten läge?

In diesem Fall hätten die Zahlungspflichtigen sehr großes Interesse daran, dass ihre Schulden zum einen nicht weiter anwachsen und würden sich große Mühe geben, so schnell wie möglich diesen immensen Kostentreiber so weit es irgend möglich ist zu vermeiden. Das wäre eine weitere Motivation, sich sehr viel stärker um die Minderung von Treibhausgas-Emissionen zu bemühen.

Zum anderen läge es im ureigensten Interesse der Verursacher, dass in gefährdeten Gebieten möglichst effiziente Schutzmaßnahmen ergriffen werden, damit zukünftige Schäden nicht so hoch ausfallen. Sie würden dann wahrscheinlich gerne für die Erhöhung von Deichen oder die Einrichtung von Hochwasserschutz zahlen, weil das schlicht billiger ist als spätere Schäden zu begleichen. Das gilt natürlich unabhängig von der Frage, wer dafür zahlt. Aber da die betroffenen Menschen und Länder oft nicht das Geld haben, um diese Investitionen zu tätigen, wäre es sehr nützlich, wenn es plötzlich im Eigeninteresse der großen Treibhausgas-Emittenten läge, die Kosten für solche Maßnahmen zu übernehmen.

Die Verpflichtung zur Übernahme von Schadenkosten würde wahrscheinlich auch der Diskussion um und der technischen Entwicklung hin zu negativen Emissionen, also der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre eine Menge Schwung verpassen. Denn ggf ist es billiger, das CO2 wieder aus dem System Erde zu entfernen, als die katastrophalen Folgen der hohen CO2-Konzentrationen zu bezahlen.

1 Geld kann das Leid und den Verlust von geliebten Menschen oder dem eigenen Lebensraum nie ausgleichen. Von daher verbleiben selbst bei einer Übernahme der Schadenskosten noch eine Menge gravierender Folgen in den betroffenen Ländern.

Die Arroganz der Macht

Die aktuelle Haltung der Verursacherländer ist leider eine andere, wie es z.B. durch ein Statement des Leiters der schweizerischen Verhandlungsdelegation zum Ausdruck kommt: Er fordert Gegenleistungen im Bereich des Klimaschutzes von den Ländern, die Hilfe bei der Bewältigung von klimakrisebedingten Schäden und Verlusten bekommen.1 Natürlich ist es sinnvoll, dass Klimaschutz auch in den Ländern des globalen Südens ein entscheidender Maßstab des Handelns ist. Aber steht es demjenigen zu, der einen Schaden anrichtet, darüber zu entscheiden, unter welchen Bedingungen er bereit ist, Schadensersatz zu leisten? Stell dir mal vor, ein:e Autofahrer:in, die ein:er Radfahrer:in die Vorfahrt nimmt, würde Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen davon abhängig machen, dass die Radfahrer:in in Zukunft immer einen Helm trägt. Ich denke, das fänden wir alle inakzeptabel.

Es wird also Zeit, dass wir uns dafür stark machen, dass die großen Emittenten Verantwortung für die Emissionen übernehmen. Auch für die Treibhausgase, die schon früher ausgestoßen worden sind.2 Wird ein entsprechend großer Topf mit Rücklagen für Klimaschäden gebildet, dann gibt es immer die Gefahr, dass das Geld nicht wirklich für das verwendet wird, wofür es gedacht war, sondern alle Arten von Missbrauch wie Korruption oder die Finanzierung anderweitiger Vorhaben vorkommen. Es müssen natürlich sinnvolle Mechanismen für die Verwaltung und Vergabe von solchen Geldern entwickelt werden und das ist nicht trivial. Hier ist aber nicht der Ort dafür, diese Mechanismen zu skizzieren. Hier geht es zunächst mal darum, zu dem grundsätzlichen Verständnis zu kommen, dass die Emittenten der Treibhausgase nach dem Verursacherprinzip für die durch die Klimakrise entstehenden Schäden haften müssen.

2 Hier gibt es keine ernstzunehmenden Zuardnungprobleme da fast 90 % aller Treibhausgas-Emissionen seit 1945 ausgestoßen wurden und sich seitdem die Grenzen der Hauptverursacherländer kaum noch verschoben haben.

Act now!

Ob nun auf dem Weg über die Anerkennung der Klimaschulden oder – insbesondere solange es diesen mächtigen Hebel nicht gibt – sonst wie: Es gibt noch immer eine Menge Unheil, das sich verhindern lässt, und damit auch eine Menge Kosten, die vermieden werden können. Wenn schnell und entschlossen gehandelt wird, sind die Chancen, dass das System Erde nicht kippt, noch immer ziemlich gut. Und selbst wenn ein Kipppunkt überschritten ist, macht es einen riesigen Unterschied, ob z.B. der Meeresspiegel in hundert Jahren um einen Meter ansteigt oder ob sich das über tausend Jahre hinzieht. Wahr ist aber auch, dass jedes Jahr, in dem es wieder nicht so recht voran geht mit dem Klimaschutz, zusätzliche Menschenleben kostet, noch mehr Schäden verursacht und die Zukunftsrisiken deutlich vergrößert. Höchste Zeit also, um in den Krisenmodus umzuschalten: Wir für uns und die Regierung für das ganze Land. Das Erste können wir ab sofort selber tun und brauchen damit auf nichts und niemanden warten. Für das Zweitere können wir auf die Straße gehen, Petitionen unterschreiben sowie Regierungsverantwortliche und Parteien in die Pflicht nehmen. Ob das was bringt? Diese Frage wird sich erst in ein paar Jahrzehnten im Rückblick beantworten lassen. Ganz sicher ist:

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.