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Der (Alp)Traum vom Fliegen

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Ferne Länder sehen, den Sonnenhunger stillen, andere Kulturen kennenlernen, ins Warme flüchten: Das Fliegen ermöglicht uns heute die Realisierung von Wünschen, die noch vor 50 Jahren für die meisten Menschen in Deutschland Träume gewesen sind, die sie sich nie oder nur ein- oder zweimal im Leben leisten konnten. Inzwischen ist Fliegen für Viele zu etwas ziemlich Selbstverständlichem geworden: Nur 13 % der Menschen in Deutschland sind noch nie geflogen (Stand 2018) und immerhin knapp die Hälfte der Menschen war 2018 in den letzten zwei Jahren mindestens einmal mit dem Flugzeug unterwegs.

Wir nehmen uns dieses Themas übrigens am 3. Februar 2022 um 19:00 Uhr auch beim (leider nur digitalen) climactivity-Abend mit einem Quiz, einem Talk mit Q&A und anschließendem digitalen Get-Together an.

Flüge lasten schwer auf der individuellen Klimabilanz

Das erschwingliche Fliegen ermöglicht die Verwirklichung von Träumen und ist dabei leider gleichzeitig ein Alptraum für die persönliche Klimaschutz-Bilanz: Ein Langstreckenflug (Hin und Rück) wie z.B. nach Thailand, Südafrika oder Mexiko schlägt mit 5 tCO2eq zu Buche1 und bringt damit so viel Emissionen auf die Waage wie ein Mensch, der seinen CO2-Fußabdruck gut optimiert hat, in einem ganzen Jahr in allen Lebensbereichen verursacht. Aber auch schon ein Flug nach Mallorca verursacht mit ca. 500 kgCO2eq pro Person so viel Emissionen, wie sich in einem ganzen Jahr durch die Umstellung von einer durchschnittlichen Ernährung mit Fleisch auf eine vegetarische Kost einsparen lässt.

Das Nicht-Fliegen ist von daher bei fast allen, die Flugreisen machen, die Einzelmaßnahme mit dem größten Klimaschutzpotential. Also ganz aufs Fliegen verzichten? Für den Klimaschutz wäre das am besten. Dabei musst du nicht unbedingt auf das Kennenlernen anderer Kulturen oder einen Urlaub im Warmen verzichten; beides gibt es auch in Entfernungen, die sich auch ohne Fliegen erreichen lassen. Das ist zweifelsohne in einigen Fällen mühseliger und fatalerweise oft auch noch teurer. Also doch Fliegen? Dazu ein Gedankenexperiment.

1 Gerechnet mit https://www.atmosfair.de/de/kompensieren/flug/; hier sind nicht nur die CO2-Emissionen berücksichtigt, sondern auch der Klimaschaden durch andere Emissionen und durch den Ausstoß von Abgasen in großen Höhen.

König:in von Deutschland. Und nun?

Stell dir vor du wärst König:in von Deutschland und willst endlich für ambitionierten Klimaschutz sorgen. Wie würdest du das regeln mit dem Flugverkehr?

Würdest du das Fliegen verteuern? Zum Beispiel durch eine CO2-Abgabe und/oder durch die Abschaffung von Subventionen wie der Steuerfreiheit des Kerosins, um das Fliegen so unattraktiver zu machen? Allerdings vermeidet das den Klimaschaden nur dann, wenn die Leute dann auch wirklich weniger fliegen und nicht ihr Flugverhalten beibehalten und die Preiserhöhung murrend in Kauf nehmen.

Würdest du Kurzstreckenflüge verbieten?  Ein guter Anfang! Die lassen sich wirklich gut durch Zugreisen ersetzen.

Oder läge es dir näher vorzuschreiben, dass nur noch mit grünem Kerosin, also solchem aus erneuerbarer Energie bzw. erneuerbaren Rohstoffen geflogen werden darf? Als dein Klimaschutzberater muss ich dir allerdings sagen, dass diese Maßnahmen nur ca. ein Drittel des Klimaschadens vermeiden, weil der Rest einfach dadurch entsteht,dass die Flugabgase ja in großer Höhe ausgestoßen werden, wo sie die Atmosphäre zusätzlich schädigen1. Zudem ist so ein Sprit sehr teuer.

Oder würdest du vorschreiben, dass Flugemissionen kompensiert werden müssen, damit unterm Strich kein Klimaschaden beim Fliegen entsteht? Die heute meist üblichen Formen der Kompensation sind leider keine systematischen Lösungen, weil ein Klimaschutzprojekt im globalen Süden das CO2 nicht wieder aus der Luft holt und auch die anderen Klimaschäden nicht ungeschehen macht. Solche Projekte finanziell zu unterstützen ist natürlich auf jeden Fall eine gute Sache, weil es die dringend braucht. Aber in einer klimaneutralen Welt lassen sich die Flugemissionen nicht mit einer Einsparung woanders verrechnen. Und in der aktuellen Situation brauchen wir eigentlich beides gleichzeitig: Weniger Flugemissionen und schnelleren Fortschritt beim Klimaschutz im globalen Süden.

Eine echte Kompensation müsste dafür sorgen, dass CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird. Das wären entweder technische Verfahren wie CCS2 und DAC3 oder das Pflanzen von Bäumen. Ersteres ist ziemlich teuer und der Platz für Bäume ist beschränkt. Beides entfaltet seine Wirkung später (CCS und DAC) oder sogar sehr viel später (Bäume; die müssen erst wachsen) als der Klimaschaden angerichtet wird. Das ist gar nicht gut und zudem gilt wieder: Wir brauchen all das Potential dieser Möglichkeiten zusätzlich zur größtmöglichen CO2-Minderung. Kompensation ist von daher auch keine gescheite Lösung für das Problem.

Oder wäre es dein Weg, jedem Menschen ein persönliches CO2-Emissions-Budget zu geben, also eine gewisse Menge pro Jahr, über die er/sie verfügen kann?  Dann können die Menschen selber schauen, ob sie es schaffen, die Emissionen für ihren Urlaub auf Teneriffa an anderer Stelle einzusparen.

Ob das gelingen kann, hängt natürlich davon ab, was für ein Budget du den Menschen zugestehst. Wird das weltweit noch verfügbare CO2-Budget zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze auf die gesamte Weltbevölkerung gleichmäßig verteilt, dann würden für jed:en seit dem 1.1.2020 noch etwa 51 tCO2eq verbleiben, bis die Klimaneutralität erreicht sein muss. Bei einem derzeitigen durchschnittlichen CO2-Fußabdruck von 11 tCO2eq würdest du das Fliegen dann nicht verbieten, aber de facto lässt sich in diesem Budget einfach kein Flug mehr unterbringen.

So viel besser wird es auch nicht, wenn du deinen Untertan:innen ein Paris-taugliches Budget (1,7 Grad-Grenze) zugeständest. Das wären dann seit 1.1.2020 noch 90 tCO2eq bis zur Klimaneutralität und die benötigen die meisten wahrscheinlich schon, um die unvermeidlichen Emissionen aus Ernährung, Alltags-Mobilität, Wärmebedarf und notwendigen Konsumgütern abzudecken. Wer sehr drauf achtet kann mit etwa 6 tCO2eq/Jahr hinkommen, zumindest wenn mensch nicht zu schlecht isoliert wohnt und wenn Mobilitätsangebote jenseits des Autos vorhanden sind. Dann könnten 90 tCO2eq bis zur Klimaneutralität reichen. Vielleicht ließe sich darin sogar noch ganz ausnahmsweise mal ein Flug unterbringen. Mehr aber wohl kaum.

1 https://www.atmosfair.de/de/fliegen_und_klima/flugverkehr_und_klima/klimawirkung_flugverkehr/
2
CCS steht für Carbon Capture and Storage, also die Abscheidung von CO2 aus dem Abgas von industriellen Anlagen; s.a. https://www.mcc-berlin.net/forschung/kurzdossiers/co2-entnahme.html
3
DAC steht für Direct Air Capture, also die Entnahme von CO2 direkt aus der Umgebungsluft

Fliegen als wertvolles Geschenk betrachten

Kennst du die Geschichte von dem jungen Mann, der für eine gute Tat von einer Fee die Erfüllung eines Wunschs geschenkt bekommt? Er denkt oft darüber nach ihn einzusetzen, aber findet immer wieder Wege das Gewünschte zu erlangen ohne den wertvollen Wunsch hergeben zu müssen. Am Ende des Lebens hat er auf diese Weise jede Menge Lebensträume verwirklicht und verwendet den Wunsch auf seinem Sterbebett dafür, noch einmal eine Sternschnuppe sehen zu dürfen.

Versuche doch mal ans Fliegen mit einer ähnlichen Haltung heran zu gehen: Sieh es als etwas an, was du machst, wenn du wirklich keine brauchbare Alternative findest. Es gibt alle Arten von spannenden Reisezielen in Deutschland und Europa; schau mal auf Portale wie www.wirsindanderswo.de und www.katzensprung-deutschland.de. Oder vielleicht denkst du mal über ganz andere Arten von Urlaub nach: Eine Radtour, eine Fernwanderung (mit Gepäckservice?) oder eine Rundreise, um die lang nicht gesehenen Freund:innen und Verwandten mal wieder zu sehen?

Zukunftsperspektive klimaneutrales Fliegen?

Auf lange Sicht wird sich die Lage sicherlich auch wieder verändern: Es wird seit einiger Zeit an klimaneutralen Antrieben für Flugzeuge geforscht1. Wenn eine mit Wasserstoff angetriebene Brennstoffzelle einen Elektromotor antreibt, dann lassen sich nicht nur die CO2-Emissionen vermeiden (wie beim „grünen“ Kerosin2), sondern auch die Klimaschäden durch den Ausstoß von Abgasen in großer Höhe; denn das Abgas von der Brennstoffzelle ist Wasserdampf, der sich mit einem Kondensator wieder einfangen lässt, so dass kein Abgas ausgestoßen wird. Bis diese Idee zur Serienreife gelangt ist, wird es aber noch mindestens 10 Jahre dauern und billig wird der Spaß so zu fliegen sicher nicht. Dann ist Fliegen vielleicht wieder so ein „Wertgegenstand“, den mensch sich zu wohlüberlegten Anlässen mal leistet. Und wenn es jetzt kein Abschied vom Fliegen für immer sein muss, dann ist es vielleicht auch etwas leichter, sich für die nächsten 10-15 Jahre an anderen Reisen zu freuen. Was Greta halt sagt: „I want you to act as you would in a crisis.“

 

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity