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Alter Wein in neuen Schläuchen?
Oder ist die Atomkraft wirklich ein:e Klimaretterin?

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Neue AKWs sind zu langsam, zu teuer, zu unflexibel und immer noch gefährlich

In der letzten Zeit mehren sich die Stimmen, die die Atomkraft als einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Klimakrise darstellen. Dabei wird erzählt, dass kleinere Atomkraftwerke (small nuclear reactors) oder Reaktoren der vierten Generation mit neuen Konzepten eine sinnvolle Ergänzung zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind. Denn Letztere seien nicht zuverlässig genug und könnten nicht schnell genug ausgebaut werden. Der Neubau von Atomkraftwerken ist aber aus einer Vielzahl von Gründen im Interesse des Klimaschutzes nicht zielführend:
(Neben den speziell genannten Quellen hier noch weitere, die herangezogen wurden: Podcast  “Kann die Kernenergie das Klima retten?” von Cornelia und Volker Quaschning; Beitrag “What role for small modular nuclear reactors in combating climate change?” auf Skeptical Science)

Zu langsam

Die Klimakrise benötigt schnelle Lösungen. Atomkraftwerke haben schon immer und werden auch weiterhin zu den Kraftwerksprojekten mit den längsten Realisierungszeiten gehören. “Im letzten Jahrzehnt wurden in neun Ländern 63 Reaktoren fertiggestellt (davon 37 alleine in China), mit einer durchschnittlichen Bauzeit von fast 10 Jahren. … Nicht enthalten in diesen langen Zeiträumen sind Planungs-, Entwicklungs- und Lizensierungszeiten, die noch vor einem etwaigen Baustart einzuplanen sind.” (Scientist for Future Studie “Kernenergie und Klima”, S.13). Hierbei handelt es sich um Neubauten von AKWs mit schon erprobten Konzepten. Bis neuartige AKWs einen Beitrag leisten könnten, dauert es noch länger. Zur Bekämpfung der Klimakrise benötigen wir Lösungen, die sich innerhalb von einem Jahrzehnt massiv ausbauen lassen, damit die fossilen Energieträger heruntergefahren werden können. Wie aus der hier verlinkten Grafik des WNISR-Reports 2019 klar zu erkennen ist, können Wind und Solar mit einer solchen Dynamik aufwarten. AKWs hingegen kommen für einen relevanten Beitrag in den entscheidenden nächsten ein bis zwei Jahrzehnten auf jeden Fall zu spät.

Zu teuer

Der Umbau der Energieversorgung erfordert massive Investitionen. Einige Maßnahmen der Klimaschutzpolitik dienen dazu, Investitionen dort anzureizen, wo sie zum Klimaschutz beitragen. Die Mittel dafür sind naturgemäß beschränkt. Es ist von daher wichtig, dass die Lösungen unterstützt werden, bei denen am Ende für den Klimaschutz auch wirklich eine Menge getan wird. Atomstrom ist aber eine teure Lösung und ist im Laufe der Zeit teurer geworden. Die von Lazard ermittelten Daten zeigen (hier in einer Aufbereitung des WNISR), dass in den zehn Jahren von 2009-2018 die Kosten für Atomstrom um 23 % gestiegen sind. Gleichzeitig sind die für Strom aus Wind bzw. Solar um 69 % bzw. 88 % gefallen. Dadurch ist Strom aus neuen AKW heute etwa dreimal so teuer wie der aus neuen Wind- oder Solarkraftwerken. Die Atomkraft zu stützen stellt von daher eine Verschwendung der begrenzten Mittel dar, die dann an anderer Stelle fehlen.

Zu unflexibel

Selbst den Vertreter:innen der Atomkraft ist klar, dass AKWs nur in Kombination mit den erneuerbaren Energien zum Einsatz kommen könnten, die unbestritten das Arbeitspferd der Energiewende sind. Weil die Erneuerbaren wetterabhängig schwanken, wird als Ergänzung eine Technologie benötigt die schnell und flexibel zu- und abgeschaltet werden kann. Günstig dafür sind auch Technologien, die mit geringen Investitionskosten auskommen, also billig im Bau sind. Mit diesen Eigenschaften punktet Gas und hat sich darüber seinen Status als Brückentechnologie erworben. Die Atomkraft kann aber weder mit niedrigen Investitionskosten nich mit Flexibilität dienen: AKWs haben ihre Stärke bei der sogenannten Grundlast, also einem möglichst ununterbrochenen Dauerbetrieb. Auch zusammen mit z.B. einer Produktion von Wasserstoff aus Überschüssen wird aus der Kombination der schwerfälligen Atomkraft und den stark schwankenden Erneuerbaren kein attraktives Gesamtsystem. Die Kombination aus großräumigen Verbundnetzen, Kurzzeitspeichern und Wasserstoff aus Erneuerbaren löst diese Aufgabe sicherer, billiger und schneller.

Immer noch gefährlich

Für die Gefährlichkeit der Radioaktivität gibt es nach wie vor keine brauchbaren Lösungen. Dies drückt sich in einer Vielzahl von ungelösten Problemen aus: Sicherheit bei Unfällen, Endlagerung, Missbrauch für die militärische Option oder auch Absicherung gegen Terrorismus.
Der Ehrlichkeit halber muss gesagt werden, dass den fossilen Energieträgern ihre Gefährlichkeit oft nicht so recht angelastet wird. Durch Luftverschmutzung sterben sehr viele Menschen und wenn das (etwas schwierige) Unterfangen vorgenommen wird, den Anteil der Toten zu ermitteln, die auf die jeweilige Stromproduktion zurückzuführen sind, dann stellt sich heraus, dass pro TWh Stromproduktion sehr, sehr viel mehr Menschen an den fossilen Energieträgern sterben, als an Atomstrom (hier von ourworldindata.org schön aufbereitet). Allerdings kommen die Gefahren der Atomkraft tendenziell in Form einer lokalen Katastrophe daher, weshalb viele Menschen aus gutem Grund nicht so gern neben einer Atomanlage leben möchten. Dementsprechend schwer war es und noch viel schwerer würde es auch in Zukunft wieder sein, in Deutschland Standorte für Atomanlagen zu finden. Wie gut, dass es die Möglichkeit gibt, sowohl Kohle als auch Atom durch Erneuerbare abzulösen und wir so beide Risiken eliminieren können.

Zivile und militärische Nutzung der Atomkraft gehen Hand in Hand. Ein Schuft wer Böses dabei denkt?

Die Argumente gegen neue Atomkraftwerke sind so offensichtlich und vielfältig, dass es kaum zu glauben ist, dass es gelingt, AKWs als Lösung der Klimakrise zu verkaufen. Warum dem trotzdem so ist, lässt sich vielleicht mit einem Blick auf die Karte der Länder klären, die derzeit dabei sind, neue AKWs zu bauen: Von neun Ländern, die das tun, sind sechs militärische Atommächte, darunter die Weltmächte USA, Russland und China. Die zivile Nutzung war schon immer mit der militärischen Nutzung der Atomkraft eng verknüpft und wurde aus eben diesem Grund in vielen Ländern massiv subventioniert. Wer an der nuklearen militärischen Nutzung festhalten will, braucht nicht nur spaltbares Material, es werden auch Ingenieure gebraucht. Ohne die friedliche Nutzung von Atomstrom wäre beides nur sehr begrenzt und zu viel höheren Kosten verfügbar. Es gibt für eine Atommacht von daher einen erheblichen Antrieb die Atomkraft auch friedlich zu nutzen. Über die Jahrzehnte hat sich auch ein Atomindustrie mit einer starken Lobby entwickelt. Dass die Atomkraft jetzt als Klimaretterin aufs Schild gehoben wird, hat wohl mehr damit zu tun, dass sie aus anderen Gründen gewollt ist, und der Klimaschutz ein willkommener Anlass ist, verlorenen Boden wieder gut zu machen.

Auch die Verlängerung der Laufzeiten der AKWs ist keine gute Idee.

Aus den genannten Gründen sollte es eigentlich klar sein, dass keine Forschungsgelder oder Subventionen oder irgendeine andere Art der Förderung für die Atomkraft gewährt werden. Aber was ist mit den schon vorhandenen AKWs? Wäre es sinnvoll diese länger laufen zu lassen? Diese Frage steht in letzter Zeit im Raum und wurde z.B. im Spiegel, der Frankfurter Rundschau oder dem Tagesspiegel thematisiert.

In den genannten Beiträgen werden durchaus bedenkenswerte Gründe vorgebracht, die für eine Laufzeitverlängerung sprechen könnten, wie z.B. dass der Klimaschaden letztlich die größere Bedrohung ist verglichen mit den Risiken der Atomkraft. Wir kommen dennoch am Ende aus folgenden Gründen zu einem NEIN: Deutschland steht in der Welt für den schnellen und massiven Aufbau einer erneuerbaren Stromversorgung. In den letzten 20 Jahren wurde der Anteil der Erneuerbaren von gut 5 % auf ca. 50 % gesteigert (s. z.B. UBA). Dabei sind viele Schwellen überschritten worden, von denen Bedenkenträger im Vorhinein gesagt hatten, dass bei derart hohen Anteilen Erneuerbarer keine sichere Stromversorgung mehr möglich sein würde. Nun stehen wir wieder vor einer solchen Schwelle, an der die Bedenkenträger sagen, dass der Klimaschutz nur funktioniert, wenn die Atomkraft beibehalten wird. Egal mit welchen anderen Maßnahmen zur Förderung der Erneuerbaren eine Laufzeitverlängerung in Deutschland begleitet würde, das in der Welt wahrgenommene Signal wäre: Der Weg in eine rein erneuerbare Zukunft ist offensichtlich doch zu schwer. Das Beispiel Deutschland wird benötigt als Gegengewicht zu den sowieso schon starken Stimmen, dass konventionelle Energieträger “leider” noch auf Jahrzehnte unumgänglicher Bestandteil des Energiemixes sein müssen.
Wichtig dabei ist, dass der dafür benötigte Ausbau der Erneuerbaren und der erforderlichen Infrastruktur für Transport, Speicherung und Regelung mit Elan angegangen wird. Beim letzten Ausstiegsbeschluss ist genau das falsch gemacht worden: Nachdem das Ende der Atomkraft 2011 nach Fukushima besiegelt war, wurde das Erneuerbare Energien-Gesetz so geändert, dass der Zubau der Photovoltaik von 7,5 GW/Jahr auf 1,5 GW/Jahr eingebrochen ist, wovon er sich bis heute (2020: knapp 5 GW) nicht erholt hat. Die Windkraft wurde durch später eingeführte Regeln in ähnlicher Weise abgewürgt anstatt sie anzutreiben (Einbruch des Zubaus in den Jahren 2018-2020 auf ca. ein Drittel des Zubaus im Zeitraum 2015-2017).
Die Tatsache, dass Deutschland über das europäische Stromverbundnetz dann teilweise Atom- oder Kohlestrom beziehen wird, stellt die Gültigkeit des oben Gesagten nicht in Frage: Erstens gibt es von diesen Stromarten europaweit zu viel und nicht zu wenig, so dass es gut ist, wenn sie wenigstens in Deutschland schon mal vom Netz gehen. Zweitens funktioniert der europäische Stromverbund nun mal nur als Verbund gut und da profitiert dann z.B. auch Frankreich davon, dass in einem sonnenreichen, heißen Sommer, wenn die AKW wegen der hohen Temperaturen der Flüsse Schwierigkeiten mit der Kühlung bekommen, viel Solarstrom aus Deutschland zur Verfügung steht, der diese Lücke füllt.
Setzen wir uns also dafür ein, dass die nötige Ambition beim Ausbau der Erneuerbaren an den Tag gelegt und nicht ein totgerittenes Pferd noch einmal bestiegen wird. Darin liegt die riesige Chance, weit über Deutschland hinaus ein starkes Zeichen für ein wirklich zukunftsfähiges (for Future!) Energiesystem zu setzen. Auch eine Ampelkoalition wird die erforderlichen Maßnahmen nicht nur aus sich heraus ergreifen. Der Druck von Seiten der Zivilgesellschaft wird nötig sein, damit sie sich weit genug bewegt. Packen wir’s an!