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Die Klimakrise und das Auto – Eine echte Chance, wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Wenn vom Klimaschutz im Verkehrssektor geredet wird, dann steht meist die Elektromobilität und damit die Antriebswende1 ganz oben auf der Tagesordnung. Wenn das aber der zentrale Lösungsansatz bleibt, dann verpassen wir die Chancen, die einer echten Verkehrswende innewohnen. Denn nur in Kombination mit einer Mobilitätswende, also einer neu aufgestellten Mobilität, bekommen wir auch eine ganze Reihe Begehrenswertes:
●  mehr Gesundheit und Wohlbefinden,
●  die Straßen als Lebensräume,
●  Bewegungsfreiheit auch für die, die nicht selber Auto fahren können, wollen oder sollten
●  einen erheblichen Beitrag zur Ressourcenschonung
Damit wir all das haben können, braucht es ein ganz anderes Verkehrssystem! Eins, in dem der motorisierte Individualverkehr, also das eigene Auto, eine viel kleinere Rolle spielt.

Wie kann das aussehen und wie viele Autos werden dann überhaupt noch gebraucht? In ambitionierten Klimaschutz-Szenarien geht die Anzahl der Autos um mehr als die Hälfte zurück und deshalb sollten schon jetzt die Neuzulassungen zurückgehen und am besten nur noch aus E-Autos bestehen. Denn jeder ab jetzt noch neu zugelassene Verbrenner wird in absehbarer Zeit zu einer doppelten Belastung: Er stößt länger CO2 aus als es mit den Klimazielen vereinbar ist und er wird irgendwann zur Kostenfalle, weil er E-Fuels braucht, die immer viel teurer sein werden als der Betrieb eines Elektroautos.

1 Eine schöne Erläuterung der Begriffe Verkehrswende, Mobilitätswende und Antriebswende hat der VCD hier zusammengestellt: https://www.vcd.org/artikel/verkehrswende-definition/

Danke an Markus Spiske auf Unsplash

Visionen einer zukunftstauglichen Mobilität

An der Ecke plauschen ein paar Nachbarn und auf der Straße spielen Kinder Federball. Sie machen eben kurz Platz, als sich ein selbstfahrendes Shuttle-Fahrzeug im Tempo eines langsamen Fahrrads nähert. Das Shuttle bringt die Oma aus der übernächsten Straße von ihrem Haus zur Straßenbahnhaltestelle und ermöglicht ihr so den Besuch bei den Enkeln, obwohl sie schon längst nicht mehr selber fahren kann. Außer den Shuttles fahren nur noch Lieferfahrzeuge und Autos, die gerade etwas Schweres liefern müssen, langsam durch das Wohngebiet. Die selbstfahrenden Autos begeben sich dann selber zum nächsten Einsatz oder warten auf diesen auf einem der Nachbarschaftsparkplätze am Rand des Wohngebiets. Ein individuelles Auto will in der Stadt fast niemand mehr haben, schlicht weil es bequemer, flexibler und günstiger ist die anderen Mobilitätsangebote zu nutzen. So können das gute Leben und der Klimaschutz sehr gut Hand in Hand gehen.

Auch auf dem Land wird eine echte Verkehrswende die Lebensqualität insbesondere für diejenigen deutlich erhöhen, die nicht selber Auto fahren können. Heute sehnen sich die meisten Jugendlichen auf dem Land danach, endlich einen Führerschein und ein eigenes Auto zu haben, damit sie selbstbestimmt von A nach B kommen können. Und ältere Menschen halten auf dem Land noch verzweifelter als die in der Stadt daran fest, selber zu fahren, weil Fahruntüchtigkeit den autonomen Bewegungsradius extrem einschränkt. In einem neu strukturierten Verkehrssystem, das nicht auf Autos im eigenen Besitz baut, werden auf dem Land Autos, Kleinbusse und Busse sehr regelmäßig und flexibel auch noch den letzten Hof mit allem verbinden, wo mensch so hin wollen könnte. Eine Kombination von on-demand Systemen und eng getakteten Verbindungen schafft hier eine heute noch unvorstellbare Dimension von Mobilität für Menschen, die heute aus welchem Grund auch immer nicht selber Auto fahren. Der Umstieg nicht nur solcher, sondern fast aller Menschen auf öffentliche und geteilte Verkehrssysteme ermöglicht es, innovative Lösungen für die Aufteilung des Straßenraums auf dem Land umzusetzen, die das Fahrradfahren sicherer und attraktiver machen.

Viele Konzepte für ein Verkehrssystem der Zukunft können von autonomen Fahrzeugen profitieren. Dann ist kein Ort mehr zu entlegen, um am Carsharing teilzuhaben und die Wege zur Carsharing-Station entfallen. Auch für die Sicherheit von Fußgänger:innen und Radfahrer:innen könnte das autonome Fahren einen Gewinn bedeuten, denn autonome Fahrzeuge lassen sich so programmieren, dass sie z.B. gefährlich knappe Überholmanöver gar nicht erst versuchen.

Wie viele (E-)Autos braucht es für die Mobilität der Zukunft?

Klar ist: Wenn die Mobilität anders strukturiert wird und wir deutliche Schritte in Richtung der oben angerissenen Visionen machen, dann braucht es lang nicht mehr so viele Autos in Deutschland. Aber wie viel weniger reichen aus?

Gemäß einer Studie vom Ökoinstitut Freiburg im Auftrag einiger Umweltverbände1 bräuchte es in einem mobilitätsgewendeten klimaneutralen Deutschland nur noch knapp 20 Millionen PKW, also nur 40 % der aktuell fast 50 Millionen. Eine Studie vom Umweltbundesamt2 beziffert den Bedarf an Autos in Städten für das Jahr 2050 mit nur noch 30 % der heutigen Menge. Wenn mensch wirklich visionär an das Thema ran gehen würde, dann könnte und müsste diese Zahl noch niedriger liegen. Denn im Grunde lassen sich Mobilitätsbedürfnisse in der Stadt mit fast überhaupt keinen privaten Autos abdecken.

Damit wir auf den Pfad hin zu weniger Autos abbiegen, muss, wie oben beschrieben, das Verkehrssystem deutlich umgebaut werden. Gleichzeitig müssen klimaschädliche Subventionen für den Straßenverkehr abgebaut und die wahren Kosten des Autofahrens wie Klima- und Umweltschäden sowie die Nutzung des öffentlichen Raums in den Spritpreis oder die KFZ-Steuer eingepreist werden. Wenn attraktive Alternativen zur Verfügung stehen und die ungerechte finanzielle und stadtplanerische Bevorzugung des Privat-PKWs beendet wird, werden viele Menschen schlicht kein Auto mehr wollen. Es geht also nicht darum Autos zu verbieten, sondern dafür zu sorgen, dass eine andere Form der Mobilität das attraktivere Angebot darstellt.

Leider wird der Übergang auf andere Formen der Mobilität als Ziel nur mäßig ernst genommen. Das lässt sich daran erkennen, wofür konkrete Zielwerte festgelegt werden und wofür nicht. Die Anzahl der Elektro-Pkw in Deutschland soll laut Koalitionsvertrag bis 2030 auf 15 Millionen steigen3. Zielvorgaben gibt es auch für die Anzahl der Ladepunkte (1 Mio) oder den Anteil an elektrischen Stadtbussen (50 %) sowie die Verdopplung des Personenverkehrs auf der Schiene. Eine echte Mobilitätswende ergibt sich daraus aber nur, wenn gleichzeitig die Anzahl der Neuzulassungen und der Pkw-Bestand kleiner werden. Aber nirgendwo werden Ziele genannt, wie diese Zahlen sinken sollen.

Wenn im Zustand der Klimaneutralität, den wir zur Einhaltung des Pariser Abkommens schon 2035 erreichen sollten, nur noch 40 % der Pkw benötigt werden, dann sollten die Neuzulassungen ab sofort auf etwa diese 40 % des derzeitigen Niveaus zurückgehen, also auf etwa 1,6 Millionen.4 So kämen wir bis 2030 auf die oben genannten 15 Millionen E-Autos.5 Die angestrebte Zahl an E-Autos ist also schon genug, wenn wir gleichzeitig die Mobilitätswende voran treiben. Anders ausgedrückt: Wir brauchen ab sofort keinen einzigen neu zugelassenen Verbrenner mehr. Die Tatsache, dass 2021 nur etwa 600.000 E-Autos (jeweils etwa 300.000 vollelektrische und Plug-In-Hybride) zugelassen wurden, tut dem keinen Abbruch. Es gibt ja 50 Millionen Autos. Wenn da der eine oder andere Neuwagenkauf ein bisschen nach hinten geschoben wird und darauf wartet, dass E-Autos verfügbar sind, dann ist das gut und wird keine sozialen Härten nach sich ziehen.

1 Klimafreundlicher Verkehr in Deutschland – Weichenstellungen bis 2050; Ökoinstitut im Auftrag von WWF, BUND, Germanwatch, NABU und VCD; 2014; https://www.vcd.org/artikel/klimafreundlicher-verkehr-in-deutschland-weichenstellungen-bis-2050/
2 Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität – RESCUE – Studie; Umweltbundesamt; 2019; https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimaschutz-energiepolitik-in-deutschland/szenarien-konzepte-fuer-die-klimaschutz/rescue-wege-in-eine-ressourcenschonende
3 Interessanterweise stehen im Koalitionsvertrag 15 Mio Elektro-Pkw, auf der entsprechenden Internetseite der Bundesregierung (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschonender-verkehr-1794672) aber nur 7-10 Millionen. Die Zahlen für Ladepunkte und Stadtbusse sind von der Seite der Bundesregierung.
4 Als Maßstab können dafür nur die Jahre vor Corona dienen, in denen gut 4 Mio Pkw pro Jahr zugelassen wurden. Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Transport-Verkehr/Unternehmen-Infrastruktur-Fahrzeugbestand/Tabellen/neuzulassungen.html
5 Bis 2021 wurden gut 600.000 vollelektrische Fahrzeuge und knapp 600.000 Plug-In-Hybride zugelassen. Nicht mitgezählt sind die über 1 Mio Hybridfahrzeuge, die nicht an die Steckdose angeschlossen werden können und somit nur die Bremsenergie wieder aufsammeln können oder über den fossilen Motor geladen werden. Quelle: https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/Jahrebilanz_Bestand/fz_b_jahresbilanz_node.html

Jeder neue Verbrenner ist eine schwere Bürde – wer wird sie tragen?

Wie schon an vielen Stellen gesagt, müsste Deutschland schon 2035 klimaneutral sein, wenn es seinen Beitrag zur Einhaltung des Pariser Klimaschutz-Abkommens (1,75-Grad-Grenze) leisten will.1 Das ist in 13 Jahren. In Deutschland neu zugelassene Autos werden etwa 20 Jahre alt2 und sind damit noch immer fahrtüchtig, wenn wir die Klimaneutralität schon längst erreicht haben sollten. Was soll dann aus diesen Fahrzeugen werden? Klimaneutral fahren lassen sie sich nur, wenn sie mit Biosprit oder E-Fuels aus erneuerbarer Energie betankt werden. Biosprit ist keine gute Idee, weil wir das Ackerland viel dringender für andere Dinge benötigen.3 Und E-Fuels sind eine sehr teure Sache. Das können sich gerade die Leute, die etwas ältere Autos fahren (müssen), kaum leisten. Wenn also die Mobilitätswende in Deutschland wirklich vorangetrieben wird, dann ist jeder neue Verbrenner nicht nur ein vermeidbarer Klimaschaden, sondern gleichzeitig auch eine massive Fehlinvestition, weil er längst vor Ende seiner technischen Lebensdauer entweder nur noch mit horrenden Betriebskosten weiterzubetreiben ist oder zu einem wahrscheinlich eher schlechten Preis abgestoßen werden muss.

Die noch größere Gefahr besteht aber wahrscheinlich darin, dass die Mobilitätswende nicht konsequent vorangetrieben wird und die Menschen in größerem Ausmaß als oben skizziert noch auf private Pkw angewiesen sind. Wenn es dennoch mit dem Klimaschutz was werden soll, dann stecken viele Menschen in einer Falle, die sozialen Sprengstoff birgt: Die Wohlhabenden fahren die günstig zu betreibenden neueren E-Autos, während die weniger gut Gestellten sich zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen: Einem E-Auto, das sie sich in der Anschaffung nicht leisten können, und einem Verbrenner, den sie sich im Betrieb nicht leisten können. Natürlich kann dann eine Subvention für E-Fuels eingeführt werden, mit der diese soziale Härte gemildert wird. Aber wäre es nicht besser, solche absehbaren Probleme zu vermeiden, indem dafür gesorgt wird, dass ab sofort oder zumindest sehr schnell keine Fahrzeuge mehr auf den Markt kommen, die solche Probleme nach sich ziehen?

Beim Verkehr ist in den letzten drei Jahrzehnten im Vergleich mit allen anderen Bereichen am wenigsten passiert, nämlich unterm Strich gar nichts: Die Emissionen waren 2019 (letztes vergleichbares Jahr wg. Corona) auf fast exakt dem selben Niveau wie 1990.4 Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass es schwer ist die Deutschen davon zu überzeugen, ihr liebstes Kind los zu lassen. Aber noch hat auch niemand ernsthaft versucht Alternativen zu schaffen und eine neue gesellschaftliche Norm zu etablieren. Damit endlich Bewegung in die Sache kommt, können wir selber damit anfangen uns klimafreundlich fortzubewegen und uns für die notwendige Mobilitätswende einsetzen, egal ob wir nun selber ein Auto haben oder nicht: Dafür, dass andere Formen der Mobilität endlich den Platz in der Stadt- und Verkehrsplanung und bei der Gesetzgebung und der Fördermittelverteilung bekommen, der ihnen zusteht. Das hilft dem Klimaschutz und vermeidet soziale Härten. Das Motto lautet von daher: „Her mit dem Klimaschutz und her mit dem guten Leben, das die neue Mobilität bringt!“

1 Klimaneutralität 2035 reicht nur, wenn davon ausgegangen wird, dass das Rest-CO2-Budget gleichmäßig auf die Weltbevölkerung aufgeteilt wird. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Deutschland in der Vergangenheit sehr viel mehr Treibhausgase ausgestoßen hat als seinem Bevölkerungsanteil entsprach und dass es ein sehr wirtschaftskräftiges Land ist, müsste Deutschland eigentlich schneller mit weniger auskommen, als z.B. sich noch entwickelnde Länder. Im Rahmen einer solchen Fair Share Betrachtung, müsste Deutschland noch schneller klimaneutral werden. S. Blogpost https://climactivity.de/klimagerechtigkeit/
2 In Deutschland verschrottete Autos waren 2014 im Schnitt etwa 18 Jahre alt (https://www.focus.de/auto/gebrauchtwagen/autoverschrottungen-in-deutschland-und-ewig-faehrt-der-golf-so-lange-leben-autos-bis-zur-verschrottung_id_4008019.html). Der größte Teil der Autos wird allerdings gar nicht in Deutschland zu Ende gefahren, sondern zuvor exportiert (https://www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/verwertung-entsorgung-ausgewaehlter-abfallarten/altfahrzeugverwertung-fahrzeugverbleib#verbleib-von-endgultig-ausser-betrieb-gesetzten-fahrzeugen)
3 Selbst wenn Ackerland frei wird, weil die Tierhaltung deutlich zurückgeht, ist es sehr viel sinnvoller dort Grundstoffe für die chemische Industrie anzubauen und das ggf mit Agri-PV zu kombinieren und so immer noch mehr Energie pro Ackerfläche zu erzeugen, als über die Herstellung von Biosprit. Zudem dürfen Ackerflächen im Interesse der Biodiversität auch nicht zu intensiv genutzt werden und auch das erhöht den Flächenbedarf.
4  https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/klimaschutz-im-verkehr