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100 % erneuerbare Energien bis 2035!
oder: Warum Ökostrom eine tolle Sache ist

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Erneuerbare Energie, vor allem Ökostrom, ist die Lösung vieler Probleme:

  • Ökostrom vermeidet die Emissionen aus fossilen Brennstoffen, die die Klimakrise treiben

  • Ökostrom ermöglicht eine Energieversorgung, die mit relativ geringen Energie-Importen aus außereuropäischen Ländern auskommt

  • Ökostrom stellt die Bezahlbarkeit der Energieversorgung sicher

Wenn Ökostrom so toll ist: Warum gibt es dann überhaupt noch was anderes als Ökostrom? Da muss doch irgendwo noch ein dicker Pferdefuß sein, denkt mensch sich dann vielleicht. Gründe, warum es nicht längst mehr Ökostrom gibt, lassen sich benennen, aber die meisten davon sind zum Glück keine zwingenden Gründe (mehr). Nachdem Ökostrom inzwischen echt billig ist, bremst uns gerade im Wesentlichen die Lobbymacht der Industrien, die an oder mit fossilen Energieträgern gutes Geld verdienen. Darüber hinaus sind sie in der Schwierigkeit begründet, Menschen für die Veränderungen der Lebensweise zu gewinnen, die das gute, aber eben andere Leben im Einklang mit dem Klimaschutz mit sich bringen.

Ökostrom zur Vermeidung der Klimakrise

Dass fossile Energie den größten Anteil an der Klimakrise hat, ist unumstritten. Aber die fossile Energie hat und hatte einen überragend wichtige Funktion für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaften. Erst die Verfügbarkeit von Energie in Form von zunächst Kohle sowie später Öl und Gas hat die Industrialisierung und ein besseres Leben für sehr Viele ermöglicht. Mit der derzeit verfügbaren Technologie und der genutzten Menge an Energie ließe sich bequem ein gutes Leben für alle Menschen auf der Welt sichern; dem stehen „nur“ einige Verteilungsfragen im Weg; ein wichtiges Thema für einen anderen Blogbeitrag. Inzwischen wissen wir aber seit ein paar Jahrzehnten, dass die Folgen der Nutzung der fossilen Energieträger in Form von Klima- und Umweltschäden die Errungenschaften der letzten 250 Jahre in Frage stellen; denn in einer massiv aufgeheizten Welt werden sich die Lebensbedingungen für Milliarden Menschen wieder drastisch verschlechtern.

Wenn wir also nicht zurück wollen in eine vorindustrialisierte Welt – und das wollen m.E. verständlicherweise nur die Wenigsten – dann müssen wir uns andere Energiequellen als die fossilen suchen und zwar solche, mit denen wir uns nicht selber kräftig schaden. Da drängen sich Wind und Sonnenstrahlung als Quellen geradezu auf, weil sie in einem riesigen Ausmaß1 umsonst zur Verfügung stehen und bei ihrer Nutzung kein Klimaschaden entsteht. Derzeit ist Letzteres noch nicht ganz wahr, weil die Solarmodule und Windräder noch mit konventioneller Energie hergestellt werden. Aber wenn die Umstellung auf Erneuerbare Energien erst mal gemacht ist, dann richten diese Formen der Energiegewinnung (fast) keinen Klimaschaden mehr an.2 Aus Perspektive des Klimaschutzes sind Erneuerbare Energien von daher zwingend notwendig und so gut wie alternativlos. Die als Alternative manchmal ins Feld geführte Atomkraft war, ist und bleibt eine schlechte Idee. Die Gründe dafür haben sich nicht wesentlich geändert seit dem Blogbeitrag vom letzten Herbst.

1 Auf der Erde trifft pro Stunde so viel Sonnenenergie ein, wie weltweit pro Jahr verbraucht wird, also etwa 10.000 mal mehr als der weltweite Bedarf. (Studie aus 2005 gemäß: https://www.nilar.com/nutzen-sie-die-sonnenenergie/)

2 Beim Beton für die Windräder braucht es allerdings noch eine andere Lösung als erneuerbare Energie, weil bei der Zementherstellung CO2 aus dem als Rohstoff benötigten Kalkstein frei wird, egal mit welcher Energie der Prozess angetrieben wird.

Ökostrom als Beitrag zur Energieautonomie

Eine ganz andere und bis vor ein paar Wochen wenig beachtete Dimension von Wind- und Sonnenstrom ist im Zuge des Kriegs von Russland gegen die Ukraine deutlich geworden: Erneuerbare Energien ermöglichen eine Energieversorgung, die auf lange Sicht ganz ohne außereuropäische Energie-Importe auskommen könnte. Auf jeden Fall wird mit jedem Windrad und jeder PV-Anlage, die in Deutschland installiert wird, die Abhängigkeit von Energie-Importen geringer.

Das sinnvoll realisierbare Potential für die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom in Deutschland ist weit höher als der Bedarf1 – und das auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es in einem erneuerbaren Energieversorgungssystem einen viel höheren Strombedarf geben wird als bisher. Schließlich müssen all die Vorgänge, die jetzt mit Kohle, Öl und Gas betrieben werden, direkt oder indirekt auf erneuerbaren Strom umgestellt werden. Das betrifft z.B. das Heizen, das Autofahren oder industrielle Hochtemperatur-Prozesse, die entweder direkt elektrisch oder mit grünen Wasserstoff aus Ökostrom betrieben werden müssen. Trotz eines stark steigenden Strombedarfs haben wir also die Möglichkeit, uns in Energiefragen ziemlich unabhängig zu machen. Im Zuge des russischen Kriegs hat dadurch die FDP plötzlich eine überraschende Zuneigung zu den erneuerbaren Energien als „Freiheitsenergien“ entwickelt.2

Eine größere Unabhängigkeit bringen die Erneuerbaren auch auf einer anderen Ebene: Sowohl Windkraft als auch Photovoltaik sind bisher in erheblichem Maße von Privatmenschen, Energiegenossenschaften und anderen kleinen Energieproduzent:innen gebaut worden. Damit verringert sich auch die Macht der großen Energiekonzerne und das Land wird demokratischer und bürgerschaftlicher.

Die Autonomie so weit zu treiben, dass sich jedes Land, jede Stadt, jedes Dorf oder gar jeder Haushalt ganz allein versorgt, ist allerdings aus systemischer Perspektive nicht anstrebenswert. Erneuerbare Energien schwanken in ihrer Verfügbarkeit. Diese Schwankung ist umso stärker je kleiner der Bereich ist, den mensch betrachtet. An einem Ort, ja sogar in ganz Deutschland kann es den ganzen Tag bedeckt und windstill sein, so dass kein Wind- und Sonnenstrom gewonnen werden kann. Das müsste bei einer lokal autonomen Energieversorgung durch tendenziell teure und ressourcenintensive Speicherkapazität abgefangen werden. Wenn wir aber ganz Europa betrachten, dann ist immer irgendwo ein Hochdruckgebiet, wo die Sonne scheint, und es ist immer irgendwo eine Grenze zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten, wo der Wind kräftig weht. Ein starkes europäisches Verbundnetz macht dadurch aus einem lokal extrem schwankenden Angebot an erneuerbaren Energien eine sehr viel stabilere und zuverlässigere Energiequelle. Dementsprechend wird in einem europaweit vernetzten Energiesystem der Speicherbedarf kleiner und die Fluktuation besser bewältigbar. Noch ein guter Grund sich für die Stärkung der europäischen Idee einzusetzen.

Ökostrom für eine bezahlbare Energieversorgung

„Ökostrom ist teuer“ ist eine weit verbreitete Meinung. Diese Vorstellung hat einen guten Grund: Über viele Jahre hat die EEG-Umlage, über die der Ausbau der Erneuerbaren Energien finanziert wurde, ein Viertel des gesamten Strompreises für private Haushalte ausgemacht. Der Preisanteil für den kleinen Anteil Ökostrom war damit in der gleichen Größenordnung wie die Kosten für den Löwenanteil an konventionellem Strom. Andere Abgaben und Entgelte waren für die übrige Hälfte der Kosten verantwortlich. Die hohen Kosten von PV-Strom vor 20 Jahren werden auch an den Einspeisevergütungen deutlich: Im Jahr 2004 wurden für kleine Anlagen knapp 60 Cent/kWh gezahlt, fast das 10-fache von dem, was konventioneller Strom zu der Zeit gekostet hat. Ökostrom war also vor knapp 20 Jahren wirklich teuer. Inzwischen haben sich die Herstellungsverfahren für Solarmodule und für die anderen benötigten Bauteile für eine Solaranlage so stark verbilligt, dass Strom aus großen PV-Freiflächenanlagen schon heute mit die niedrigsten Stromgestehungs, also Herstellkosten von allen möglichen Technologien hat. Da zu erwarten ist, dass die Preise weiter fallen, wird Solarstrom auch in Deutschland in sehr absehbarer Zeit zur billigsten Stromquelle werden, die es gibt. In sonnigeren Ländern ist das schon heute eindeutig der Fall. Für die Windkraft gilt das oben Gesagte in ähnlicher Weise, nur dass die Kostensenkungskurve nicht ganz so steil ist. Dass Ökostrom teuer ist, ist also ein überkommener Glaube, den es schleunigst abzulegen gilt.

Wind und Sonne haben noch einen Riesenvorteil gegenüber den fossilen Energieträgern und der Atomkraft: Wenn die Anlagen einmal installiert sind, fallen für den Betrieb fast keine Kosten mehr an, weil es keinen Brennstoff gibt, der bezahlt werden muss. Beim Wind gibt es noch Wartungskosten, die nicht ganz zu vernachlässigen sind, beim Sonnenstrom müssen während der (gut) 20-jährigen Laufzeit in der Regel nur einmal die Wechselrichter ersetzt werden. Die Kosten für den Strom aus Wind und Sonne sind somit an über die gesamte Laufzeit von gut 20 Jahren so ziemlich die gleichen. Weder Rohstoffknappheit noch Inflation ändern etwas daran. Ökostrom ist also nicht nur jetzt gerade günstig, sondern hat auch noch eine eingebaute Preisgarantie.

Warum gibt es nicht längst mehr Ökostrom?

Das klingt alles so gut, dass mensch sich fragt: „Warum gibt es dann nicht schon längst mehr Ökostrom?“ Der eine Teil der Antwort wurde oben schon gegeben: Bisher musste Ökostrom gefördert werden, weil er noch teurer war als der konventionelle Strom.1 Das hätte mensch in sehr viel größerem Maße tun können und müssen, als es geschehen ist, aber natürlich muss auch abgewogen werden, wie viel Förderung sinnvoll ist.

Dass diese Abwägung für den Ökostrom so ungünstig ausgefallen ist, liegt sehr wesentlich daran, dass diejenigen, die mit Kohle, Öl und Gas sowie der Stromproduktion mit diesen Energieträgern ihr Geld verdienen, die Politik und die öffentliche Meinung recht erfolgreich darauf eingeschworen haben: wir können uns einen schnellen Ausbau von Wind und Sonne nicht leisten. Das haben sie vielen Menschen und insbesondere auch Politiker:innen erfolgreich weis gemacht und so dafür gesorgt, dass die fossilen Energien weiterhin mit etwa 40 Mrd. € pro Jahr subventioniert wurden, aber der Ökostrom-Zubau abgewürgt wurde: Folgerichtig hat die schwarz-gelbe Bundesregierung 2012 eine Änderung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) beschlossen, dass den Zubau der Photovoltaik drastisch beschränkt hat. Der Zubau ist daraufhin von gut 8 GW im Jahr 2012 auf 1,2 GW im Jahr 2014 eingebrochen. In den neun Jahren (2013-2021) seit dieser EEG-Änderung ist nur so viel Photovoltaik installiert worden wie in den drei letzten Jahren davor (2010-2012). Für die Windkraft gilt Ähnliches, nur dass da der Mechanismus zum Abwürgen des weiteren Zubaus ein etwas anderer war.

Eine Nebenbemerkung mit Blick auf den Kohleausstieg will ich mir hier nicht verkneifen: In der Solarindustrie und bei den Solar-Installateuren sind zwischen 2011 und 2014 über 100.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.2 Das waren Arbeitsplätze im Handwerk und in kleinen und mittelständischen Unternehmen; kein riesiges Automobilwerk mit tausenden von Arbeitsplätzen, auch kein Energieriese mit ein paar tausend Angestellten im Kraftwerkspark und im Bergbau. Aber trotzdem waren es mehr Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, als beim Kohlekompromiss 2019 überhaupt noch in der Kohleindustrie gearbeitet haben; denn das waren gerade mal gut 20.000.3 Als die Photovoltaikbranche auf ein Drittel ihrer vorherigen Größe eingeschrumpft wurde, hat kein Hahn danach gekräht, dass dadurch 100.000 Arbeitsplätze verloren gehen und wie das aufgefangen werden könnte. Ein weiterer Punkt, an dem zu erkennen ist, wie verschieden hier die Branche der Erneuerbaren und die fossile Industrie behandelt werden.

Wäre der Zuwachs bei den erneuerbaren Energien 2012 nicht abgewürgt worden, sondern hätte sich weiter fortgesetzt, dann wäre unsere Stromerzeugung heute schon wesentlich klimafreundlicher und wir wären bei geeigneter Steuerung des Ausbaus von z.B. grünem Wasserstoff auch schon ein gutes Stück unabhängiger von russischem Gas.

1 Würde der konventionelle Strom nicht subventioniert und wäre die Schädigung von Klima und Umwelt nicht umsonst, wäre Ökostrom schon eine Weile der günstigste Strom.

2 s. Bild 15 auf S. 17 der Studie „Solarstromausbau für den Klimaschutz“ von Volker Quaschning. Verfügbar auf https://volker-quaschning.de/publis/studien/solarstromausbau

Je später der Start, desto schneller muss es gehen

Hätte, hätte Fahrradkette … Die richtig guten Zeitpunkte, um den Ausbau des Ökostroms fortzusetzen und daraus eine Jobmaschine zu machen, haben wir verpasst. Nun müssen die Fachkräfte erst mal wieder für die Arbeit in der Branche gewonnen werden, damit wir all die benötigten Installationen von Wind- und Sonnenstrom-Anlagen machen können. Da wir so spät damit anfangen, ist zur Einhaltung des Pariser Abkommens inzwischen ein Hochfahren der Installation auf zumindest 45 GW pro Jahr nötig, was das 9-fache dessen ist, was im Jahr 2021 installiert wurde und mehr als das 5-fache von dem was im bisherigen Rekordjahr 2012 hinzugekommen ist (8,2 GW). Nur mit einem so massiven Ausbau ist Klimaneutralität bis 2035 machbar. Das aber ist nötig, damit Deutschland mit dem CO2-Budget auskommt, das für die Einhaltung des Pariser Abkommens (also der 1,7-Grad-Grenze) noch maximal emittiert werden darf.

Der Ausbau des Stromsystems mit all seinen Komponenten ist eine Mammutaufgabe, gerade in Anbetracht der relativ kurzen Zeit, in der das alles passieren soll. Diese Aufgabe ist eigentlich nur dann zu schaffen, wenn der Energie- und damit der Strombedarf sinkt. An manchen Stellen ergibt sich das fast von allein, weil Wärmepumpen, Elektroautos und erneuerbare Stromerzeugung deutlich effizienter sind als ihre bisher üblichen Vorgänger. Auch die Dämmung von Häusern ist von großer Bedeutung, damit der Bedarf an Heizenergie im Winter, wenn die Sonne wenig scheint, nicht so groß ist. Große Potentiale liegen aber auch in einer veränderten Mobilität: wenn wir statt Auto zu fahren auf den viel energieeffizienteren Öffentlichen Nahverkehr umsteigen oder mehr mit dem emissionsfreien Fahrrad fahren und den Rest mit geteilten Autos bewältigen, wird jede Menge Energie für Treibstoff, aber auch bei der Automobilproduktion eingespart. Ebenfalls sehr hilfreich ist ein nachhaltiger Konsum. Wenn weniger, dafür aber langlebige Produkte gekauft und mit mehr Menschen genutzt werden, dann werden viele Industrie-Emissionen vermieden. Dafür sollten wir uns von Fast Fashion verabschieden, also von Bekleidung, die kaum getragen wird, von kurzlebiger Elektronik und der Anschaffung von jeder Menge Gegenständen, die dann kaum genutzt werden.

Wie so oft beim Klimaschutz, lässt sich die Aufgabe nur dann bewältigen, wenn wir unsere Lebensweise in mancher Hinsicht in Frage stellen und neue Gewohnheiten annehmen. Wir kriegen dafür dann eine Menge zurück: Bewegung an der dann wirklich frischen, weil nicht mehr Abgas-belasteten Luft; weniger Zeug, das unsere Wohnungen vollrümpelt und mit Mühe aussortiert werden muss; ein behaglicheres Wohnen, weil die Wände nicht mehr kalt sind und es nicht mehr zieht; und nicht zuletzt schaffen wir es mit einem niedrigeren Energiebedarf sehr viel leichter unabhängig von fraglichen Energielieferant:innen zu werden, was wir in diesen Zeiten sicherlich alle neu zu schätzen gelernt haben.