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Warum persönliches 1,5-Grad-Budget und
individueller CO2-Fußabdruck wichtig sind

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

Kannst du mit ca. 50 Tonnen CO2eq seit 1.1.2020 und bis zur Klimaneutralität auskommen? Das ist in etwa die Menge, die (weltweit) noch auf jede:n von uns entfällt, wenn der Temperaturanstieg unter der 1,5-Grad-Grenze bleiben soll. Mit dieser müsstest du also auskommen, wenn du deinen fairen Beitrag zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad leisten wolltest. 50 tCO2eq ist eine hammerharte Herausforderung. Für die Einhaltung des Pariser Abkommens, also der 1,7-Grad-Grenze, standen pro Kopf seit dem 1.1.2020 noch ca. 90 tCO2eq zur Verfügung. Ist das vielleicht im Rahmen dessen, was dir möglich ist?

Passt dein Fußabdruck zur 1,5-Grad-Grenze?

Um die Frage beantworten zu können, musst du natürlich zunächst mal deinen eigenen CO2-Fußabdruck kennen. Wenn du ihn ermitteln willst, dann nutze dafür gern den CO2-Rechner vom Umweltbundesamt. Wenn du dir viel Mühe gibst ihn klein zu halten, dann liegt er wahrscheinlich in der Größenordnung von 5 tCO2eq, der deutsche Durchschnitt liegt derzeit bei etwa 11 tCO2eq. Das Klimaschutzgesetz für Deutschland sieht vor, dass der CO2-Ausstoß bis 2045 in etwa gleichmäßig auf netto Null absinken soll. Mit dem durchschnittlichen deutschen CO2-Fußabdruck als Ausgangspunkt würden mit einem solchen Reduktionspfad vom 1.1.2020 bis zur Klimaneutralität in 2045 knapp 140 tCO2eq verursacht. Deutschlands Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaabkommens (max. 90 tCO2eq) wäre damit klar verfehlt, von 1,5-Grad brauchen wir dann gar nicht zu reden.

Dein Fussabdruck hängt nicht nur von deinen Entscheidungen ab, aber …

Denkst du jetzt, dass diese Rechnung in unfairer Weise etwas auf deinen Schultern ablädt, was du gar nicht verändern kannst? Oder zumindest nicht, indem du dein eigenes Verhalten veränderst? Das stimmt natürlich in gewisser Weise: Wenn du einen neuen Laptop brauchst, dann hast du derzeit keine Chance einen zu kaufen, der nur mit Ökostrom hergestellt wurde.

An vielen Stellen liegt die Sache aber anders: Bei deiner Ernährung, bei deiner Mobilität, bei der Auswahl deines Stromanbieters und der Frage wie du heizt und wie viel du einkaufst, hast du einiges in der Hand, was sich erheblich auf die Größe deines Fußabdrucks auswirkt. Wenn du dich mit dem Thema Klimaschutz schon etwas mehr befasst hast, dann hast du wahrscheinlich klare Vorstellungen davon, was in einigen dieser Bereiche getan werden muss. Vielleicht setzt du dich für die Energiewende, die Wärmewende, die Agrarwende, die Mobilitätswende, die Bauwende oder nachhaltigen Konsum ein. Lebst du an den Stellen, wo du es im Griff hast, so wie es den Forderungen entspricht, die du unterstützt? Eine klimafreundliche Ernährung zum Beispiel bedeutet zuerst mal, sich ziemlich stark pflanzlich zu ernähren. Das ist schon hier und heute machbar. Warum solltest du damit warten, bis das Fleisch aufgrund von Tierwohl- und Klimaschutzregelungen so teuer geworden ist, dass du es dir nicht mehr so oft leisten kannst?

Individuelle Veränderungen – nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Hier kommt dann bei vielen ein anderer Aspekt zum Tragen: Wenn ich und all die anderen klimabewegten Menschen all das umsetzen, was jetzt schon möglich ist, dann ist auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn, so der Gedanke, die Mehrheit der Menschen wird wohl so lange unverändert weiterleben, bis das aufgrund staatlicher Regulierung nicht mehr möglich ist. Und deshalb kommt es nicht darauf an, ob und wie die Klimabewegten leben, sondern ob wir es schaffen, Gesetze und Förderprogramme zu erstreiten, die dazu führen, dass Klimaschutz nicht mehr von der individuellen Bereitschaft dazu abhängt.

Dass es für erfolgreichen Klimaschutz staatliche Regulierung braucht, ist überhaupt keine Frage. Zur Debatte steht nur, ob es in der aktuellen Situation eine Kraftverschwendung ist, sich auch mit dem eigenen Fußabdruck zu befassen. Und das lässt sich am besten beantworten, wenn mensch sich anguckt, was für eine Art von gesellschaftlichem Wandel für den Klimaschutz erforderlich ist und wie ein solcher zustande kommen kann.

Klimaschutz braucht eine Wende bei der Lebensweise

Wenn Vorbilder für das Erstreiten von Klimaschutz benannt werden, dann sind dies oft die Abschaltung der Atomkraftwerke, der Kampf gegen das Waldsterben (also den sauren Regen), und das Verbot von FCKWs zur Schließung des Ozonlochs. Alle drei Beispiele unterscheiden sich in einem fundamentalen Punkt vom Klimaschutz: Diese Probleme ließen sich so lösen, dass sich der Lebensalltag der breiten Bevölkerung dabei nicht verändern musste: Strom kommt weiter aus der Steckdose, ob nun Atomkraft dahinter steht, Kohle oder Solar; Rauchgasentschwefelung und Katalysatoren für Autos haben einen großen Unterschied für den Wald gemacht, aber nicht für den Alltag der Menschen; und ob im Kühlschrank oder der Spraydose nun FCKWs waren oder was anderes, hat letztlich für deren Nutzung keinen Unterschied gemacht. Von daher ging es in diesen Fällen im Wesentlichen darum, auf eine politische Entscheidung hin zu arbeiten. Die Zivilgesellschaft spielte dabei als Faktor in der Entscheidungsfindung eine zum Teil sehr wichtige Rolle. Dem Rest der Gesellschaft, der sich nicht aus politischen Gründen für die Entscheidung interessierte, konnte es letztlich ziemlich egal sein, wie das politische Tauziehen nun endet.

Bei der Lösung der Klimakrise wird der Alltag aller Menschen von den politischen Entscheidungen betroffen sein und dementsprechend werden auch alle eine recht klare Meinung dazu haben. Denn eine rein technische Lösung für den Klimaschutz gibt es nicht: Es braucht veränderte Essgewohnheiten, ein anderes Reiseverhalten, neue Arten der Fortbewegung und eine andere Haltung zum Konsum. Solche Eingriffe in die persönliche Lebensführung nimmt die Politik nur vor, wenn sie mit einer ausreichenden Akzeptanz der Maßnahmen rechnet. Ohne die müssen sie fürchten, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden. Und das würde nicht nur die Parteien und Politiker:innen treffen, die die Maßnahmen beschließen, sondern auch den Klimaschutz. Denn wenn die Parteien, die ambitionierten Klimaschutz in einer Regierung durchsetzen, letztendlich abgewählt werden, dann ist das für den Klimaschutz sicherlich ein großer Rückschritt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die zögerliche Politik der letzten Regierung ist durch die gerade genannten Argumente nicht zu rechtfertigen. Es hätte Akzeptanz für deutlich mehr Klimaschutz gegeben, aber die Große Koalition hat im Interesse von einigen lobbystarken Industrien, mit denen sie eng verbunden war, den Spielraum für mehr Ambition überhaupt nicht nutzen wollen. Schlechte Beispiele waren das Ausbremsen von schärferen Vorgaben für die Emissionen von Autos, ein wachsweicher Kohlekompromiss mit großzügigen Entschädigungen sowie nicht-existente Klimaschutzmaßnahmen im Agrarbereich.

Ob die Ampelkoalition den vorhandenen Spielraum versucht auszureizen, lässt sich derzeit noch nicht klar beantworten. Beim Tempolimit auf Autobahnen wurde schon mal eine Gelegenheit verpasst eine in vieler Hinsicht sinnvolle Maßnahme umzusetzen, für die die Akzeptanz da gewesen wäre. Bei der Windkraft, dem Ausbau des Stromnetzes und der Landwirtschaft, werden neue Wege beschritten und der Akzeptanzspielraum stärker genutzt. Wie das Tempolimit zeigt, braucht es auf jeden Fall massiven zivilgesellschaftlichen Druck, damit die Regierung das Machbare auch wirklich tut.

Den Spielraum für ambitionierte Klimaschutzpolitik erweitern

Wenn es gelingt, die Regierung so unter Druck zu setzen, dass sie wirklich ambitionierten Klimaschutz macht, dann kann es passieren, dass sich Proteste dagegen formieren und die Unterstützung für die Regierungsparteien weg bricht. Dass diese Gefahr real ist, haben die Grünen mit den Forderungen nach einem Veggie-Day und 5-Mark-für-den-Liter-Sprit schon schmerzlich erlebt. Die Angst vor Gelbwesten-artigen Protesten gegen Klimaschutzmaßnahmen ist vorhanden und auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Die Akzeptanz für ambitionierten Klimaschutz kann in unserem demokratischen System also durchaus ein begrenzender Faktor sein. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass der politische Wille für ambitionierten Klimaschutz nicht an mangelnder Akzeptanz scheitert, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Akzeptanz wächst für die Veränderungen der Lebensweise, die mit der Bewältigung der Klimakrise einhergehen müssen.

Hier kommt der CO2-Fußabdruck und das individuelle CO2-Budget wieder ins Spiel: Denn mit diesen beiden Instrumenten kann sich jeder Mensch ein klares Bild davon machen, welche Veränderungen erforderlich sind, damit Klimaschutz gelingen kann. Dieser Ansatz kann dabei gleichzeitig aufzeigen, wie jed:er Einzelne sein Leben ändern kann, damit es voran geht, und an welchen Punkten ein gesellschaftliches bzw. politisches Engagement erforderlich ist, damit sich auch die strukturellen Faktoren so verändern. Denn nur dann können die individuellen  Fußabdrücke so klein werden, dass die Einhaltung des Budgets gelingen kann.

Nicht entweder-oder, sondern sowohl-als-auch

Bei climactivity motivieren wir Menschen dazu, sich mit dem eigenen CO2-Fußabdruck zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit dem, was sie selber ändern können, hilft zum einen beim Klimaschutz; jede gesparte Tonne ist ein Gewinn. Zum anderen vergrößert sich dadurch die Akzeptanz von ambitioniertem Klimaschutz. Gleichzeitig stärkt die Auseinandersetzung mit dem CO2-Fußabdruck auch das Bewusstsein dafür, an welchen Stellen dem persönlichen Umsetzen von Klimaschutz Grenzen gesetzt sind. Dies nutzen wir gezielt, um Menschen darin zu bestärken, sich für den notwendigen gesellschaftlichen und politischen Wandel einzusetzen. Ich möchte von daher Werbung dafür machen, die Beschäftigung mit dem persönlichen Beitrag nicht gering zu schätzen oder gar als Ablenkung vom Wesentlichen zu betrachten. Denn erst die Kombination von politischem Druck und einer gesteigerten Akzeptanz eröffnet eine realistische Perspektive für ambitionierten Klimaschutz.