Freiheit und Verantwortung
Bewusstsein beim Stromverbrauch
Daniel Dahlhaus
Elektrizität gibt uns Freiheit und wundervolle Möglichkeiten. Wir können Licht ins Dunkel bringen. Wir können lebensrettende Maschinen betreiben, mit Menschen am anderen Ende der Welt kommunizieren, phantastische Welten in Filmen oder Videospielen erkunden oder uns in der realen Welt mithilfe von Elektromotoren fortbewegen. Viele Aufgaben, die Zeit und Muskelkraft erfordern, können von elektrischen Geräten übernommen werden. Elektrischer Strom umgibt uns in der modernen Welt überall. Doch genau wie alle anderen Ressourcen, ist auch Strom nicht unbegrenzt verfügbar und hat seinen Preis.
Die öffentliche Diskussion um den Umgang mit dieser Ressource dreht sich scheinbar größtenteils um technologische Lösungen für die Frage, wie sich der jetzige Stromverbrauch komplett klimaneutral bedienen lässt. Über einen geringeren Stromverbrauch wird weniger geredet. Ganz im Gegenteil: Viele technologische Entwicklungen, wie z.B. Elektromotoren als Alternativen zu Verbrennungsmotoren, verbreiten und normalisieren sich und erhöhen den Stromverbrauch sogar. Auch die allgegenwärtige Digitalisierung hat ihren Energiebedarf. Diesen Entwicklungen kann der Ausbau erneuerbarer Stromquellen nicht rechtzeitig gerecht werden, um die Klimaziele erreichen zu können.
Energiesuffizienz: Verzicht auf Achtlosigkeit
Trotz aller Möglichkeiten, Geräte effizienter zu machen, ist doch die schlichte Reduktion des Verbrauchs die beste Variante für den Klimaschutz. Da tut sich wieder ein altbekanntes Spannungsfeld auf: Unsere Freiheit, den elektronischen Fortschritt zu nutzen will mit unserer Verantwortung für den Klimaschutz ausbalanciert werden. Erneut gilt es, eine frische und innovative Perspektive auf das Verhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung einzunehmen.
Vor allem der Umgang mit Unterhaltungselektronik erweckt häufig überhaupt nicht den Eindruck von Freiheit. Der Griff zum Smartphone ist bei vielen Menschen zwanghaft. Eine Mahlzeit zu genießen, ohne eine Serie oder ein YouTube Video nebenbei zu schauen, erscheint häufig zu langweilig. Nicht wenige Menschen können ohne einen Podcast oder das Flimmern des Bildschirmes abends nicht einschlafen. Auch das Handy wird bis kurz vor dem Schlafen noch genutzt. Medien- und Internetsucht sind Phänomene auf dem Vormarsch.1
Grundsätzlich gilt stets der Mechanismus, dass Dinge den Menschen nur solange Freiheit bringen, bis sie von diesen Dingen abhängig werden. Wenn notwendige Tätigkeiten nicht mehr ohne Hilfsmittel erledigt werden können, die nur begrenzt verfügbar sind, kann das problematisch werden – vor allem, wenn der Blick für die richtigen Prioritäten fehlt. Und wenn selbst die Freizeit nicht mehr unabhängig von elektronischer Unterhaltung genossen werden kann, ist das offensichtlich sehr bedenklich. Streaming und exzessive Internetnutzung nehmen zu, ohne dass ein Bewusstsein darüber besteht, wie viel Energie diese Prozesse tatsächlich verbrauchen. Hier trifft eine steigende Abhängigkeit auf ein ausgeprägtes Unwissen.
1 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/o/online-sucht.html
Wir stehen ständig unter Strom
Dieses Unbewusstsein betrifft auch andere Aspekte, als den tatsächlichen Stromverbrauch. Es wird immer stärker evident, welche negativen Auswirkungen der übermäßige Gebrauch von Smartphone, Videospielen, sozialen Netzwerken, Serien oder Filmen haben kann. Dies wird vor allem in Bezug auf Kinder und Jugendliche vermehrt untersucht.² Doch auch unter Erwachsenen werden eine erhöhte Nutzung und negative Auswirkungen auf psychische und soziale Funktionen festgestellt.³ Auswirkungen auf die Sehfähigkeit und Körperhaltung werden ebenfalls untersucht. Nicht zuletzt spielt das stetige hin und her unserer Aufmerksamkeit eine Rolle.4 Egal ob ein Film geschaut oder mit Freund:innen geplaudert wird – das Smartphone wird regelmäßig gecheckt. Wir stehen sozusagen ständig unter Strom. Das wirkt sich auf unsere psychische Leistungsfähigkeit und auf unser soziales Leben aus.
Somit birgt dieses Thema gleich zwei Ebenen, auf denen mehr Bewusstsein in unserem Energiehaushalt benötigt wird. Und diese sind eng miteinander verknüpft. Je stärker wir unsere Aufmerksamkeit auf verschiedene Aktivitäten zerstreuen, desto mehr Energie verbrauchen wir – mit geringerem Ergebnis. Ebenso ist es bei den elektrischen Geräten. Je mehr davon wir achtlos anschalten oder angeschaltet lassen, desto mehr Energie verbrauchen sie. Dabei können wir nicht alle gleichzeitig gebrauchen. Meist ist uns weder bei der Zerstreuung unserer Aufmerksamkeit, noch bei vielen alltäglich genutzten Medien bewusst, wie viel Energie diese tatsächlich benötigen. Eine erhöhte Achtsamkeit im Umgang mit uns selbst und all den Geräten und Medien, die uns zur Verfügung stehen, birgt also sehr großes Potenzial.
Was hat Priorität?
Zunächst sollten wir uns bewusst machen, dass nicht alle elektrischen Geräte die gleiche Wichtigkeit haben. Wir können zum Beispiel unsere Speisen in der Kühlung lange haltbar machen oder Menschen beatmen, die nicht selbst atmen können. Solche essenziellen Möglichkeiten zu schützen liegt in unserer Verantwortung. Aus dieser Perspektive sind Unterhaltungsmedien und technische Spielereien lediglich ein nice to have . Somit sollte ein Bewusstsein dafür entstehen, was wirklich Priorität hat.
Das bedeutet jetzt nicht, dass niemand mehr einen Film schauen oder einen Staubsauger benutzen soll. Ein guter Anfang ist schon gemacht, wenn mensch versucht, wachsam zu sein:
– Sind gerade Geräte eingeschaltet, die ich nicht benutze?
– Konzentriere ich mich wirklich auf den Fernseher oder läuft er nur im Hintergrund, während ich am Smartphone bin?
– Muss dieses Video gerade in der höchsten Auflösung laufen?
– Wie alt sind mein Kühlschrank und meine Waschmaschine? Macht ein sparsameres Modell Sinn, welches ich vielleicht sogar gebraucht erwerben kann?
– Muss die Wäsche auf 40° gewaschen werden oder reichen auch 30°?
– Benötige ich für jede Arbeit im Haushalt etwas Elektrisches oder geht manches auch mechanisch oder manuell?
– Wie viel Strom steckt in der Herstellung bestimmter Güter? Brauche ich diese Sachen wirklich?
– Sind Kühl- und Gefrierschrank vereist? Wird beim Kochen die Restwärme der Herdplatte mitgenutzt?
Wenn die positiven Potenziale des Sparens genutzt werden, ist auch dem Gefühl von Verzicht vorgebeugt. Denn ein Essen, ohne nebenbei ständig zum Smartphone zu greifen oder Videos auf dem Fernseher zu schauen, hat eine andere Qualität. Generell wirkt sich eine bewusstere und verringerte Nutzung von Streamingdiensten, Social Media und ähnlichen Produkten auf das allgemeine Befinden aus. Das kann jeder Mensch selbst ausprobieren und es kostet nichts – ganz im Gegenteil. Einige werden vielleicht anfangs überrascht feststellen, wie abhängig sie bereits von diesen Gewohnheiten sind. Das ist der unmittelbarste Beweis, dass hier von Freiheit keine Rede mehr sein kann. Es ist ein lohnenswertes und spannendes Experiment, die Auswirkungen auf die eigenen Lebensqualität zu testen. Denn hier gilt: Weniger ist mehr.
Echte Freiheit braucht Bewusstsein und Mäßigung
Ein Sinneswandel im Umgang mit elektrischen Geräten kann gleichzeitig ein Zeugnis echter menschlicher Freiheit werden. Denn hier kann und soll Freiheit wieder im Sinne einer gerechten globalen Gesellschaft gedacht werden. Und das funktioniert nicht, wenn sich Teile der Weltgemeinschaft die Freiheit zu maßlosem Verbrauch herausnehmen. Dies beschneidet durch die Folgen des Klimawandels letztlich die Freiheit aller. Dazu kommen die zuvor geschilderten Abhängigkeiten, die sich zunehmend in den modernen Gesellschaften entwickeln.
Der starke Fokus, der hier auf Informations- und Kommunikationstechnologie gelegt wird, hat hauptsächlich mit der kritischen Perspektive auf Freiheit zu tun, die sich auf diesem Feld offenbart. In diesem Bereich steht dem positiven Potenzial, welches echte Freiheiten mit sich bringt, ein zunehmend problematisches Potenzial zur übermäßigen Nutzung mit schädlichen Folgen gegenüber. Aus der Sicht des tatsächlichen Stromverbrauchs machen im Haushalt Waschmaschine, Herd / Ofen und Kühlschrank / Gefriertruhe einen größeren Anteil aus.5
Das Ziel ist letztlich ein Bewusstsein über die optimale Benutzung und eine gemäßigte Verwendung. Die Politik kann ihrerseits z.B. durch Maßnahmen wie die Ökodesignrichtlinie das Angebot der Industrie reglementieren und dort für Mäßigung sorgen6. Endverbraucher:innen können prüfen, ob sie effiziente Geräte haben und sich einen gemäßigten Gebrauch angewöhnen. So kann ohne einen Verlust an Lebensqualität darauf hingewirkt werden, dass den wesentlichsten Errungenschaften unserer Gesellschaft nicht der Saft ausgeht.
6 https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/produkte/oekodesign/oekodesign-richtlinie