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Die menschliche Zivilisation hat noch keinen Klimawandel erlebt

Uli F Wischnath, Programmkoordinator climactivity

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Immer wieder steht die Frage im Raum, inwiefern sich die heutige Klimakrise eigentlich von dem natürlichen Klimawandel unterscheidet, mit dem das Leben auf der Erde und die Gattung Mensch schon seit ein paar Millionen Jahren zurecht gekommen ist. Um zu verstehen, wie wenig diese Tatsache für uns bedeutet, muss mensch sich klarmachen, dass alles, was wir menschliche Zivilisation nennen, in den letzten 10.000 Jahren entstanden ist. Das jedoch war eine Periode mit sehr stabilen Temperaturbedingungen. Mit der jetzt vom Menschen verursachten drastischen und noch dazu sehr schnellen Veränderung der Temperaturen betreten wir als menschliche Zivilisation von daher Neuland und zwar ziemlich sicher ein recht unwirtliches.

Doch bevor die Bedrohung im Mittelpunkt steht, ist es mir wichtig zu betonen, dass wir es noch in der Hand haben, den Klimawandel in Grenzen zu halten. Der naheliegendste Schritt ist, im Hinblick auf die Wahl zu checken, ob sich die bevorzugte Partei zum Klimawandel so positioniert, wie du es tust. Das geht seit gestern beim Klimawahl-Check der Klima-Allianz. Danach kannst du entweder an der Veränderung der Positionen innerhalb deiner bevorzugten Partei arbeiten, mal anders wählen (falls es eine klimafreundlichere Alternative gibt) oder auch beides tun.

Und ab September könnt ihr bei climactivity mitmachen, einem Programm aus Spiele-App und digitaler sowie Vor-Ort-Vernetzung, das es leicht macht, Tag für Tag etwas (mehr) für den Klimaschutz zu tun. Sei es indem ihr euren Fußabdruck verkleinert oder euer Engagement für den Klimaschutz (den sog. Handabdruck) vergrößert.

Nun aber die Erklärung, warum die Tatsachen, dass es Klimawandel schon immer gegeben hat, keine beruhigende Perspektive für uns als heute lebende Menschen ist.

Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation passierte unter extrem stabilen Klimaverhältnissen

1. Die Entwicklung des modernen Menschen, also alles was wir heute als Zivilisation ansehen, hat in den letzten 10.000 Jahren stattgefunden. In dieser Zeit hat sich das Klima so gut wie überhaupt nicht geändert (+/- 0,5°C). Es ist ein ausgedehntes Plateau der Temperaturstabilität rund um das Temperaturmaximum des Holozäns. Sehr schön hier zu betrachten: https://xkcd.com/1732/ (nicht täuschen lassen: auch wenn es locker dargestellt ist: Es ist wissenschaftlich sehr gut abgesichert). Klimawandel ist also etwas, was die Gattung Mensch schon geschafft hat zu überleben, aber nicht die menschlich Zivilisation. Wir sind mit unseren Errungenschaften der Zivilisation viel mehr darauf angewiesen, dass Dinge stabil sind und bleiben wie sie sind, als es Menschen waren, die all ihre Habe schultern und weiterziehen konnten. Und für uns als menschliche Zivilisation stellt der Klimawandel eine noch vollkommen unbekannte Herausforderung dar.

Zusätzlich ist die aktuelle Geschwindigkeit der Temperaturerhöhung ein Problem. Die Veränderung betrug ca. 1°C in den letzten 100 Jahren, Tendenz der Geschwindigkeit: zunehmend. In der überschaubaren Menschheitsgeschichte ist das so noch nicht vorgekommen. Die schnellsten Übergange waren solche wie der Anstieg um etwa 5 °C vom Ende der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit über einen Zeitraum von gut 5000 Jahren, also 1 °C pro 1000 Jahre. Der menschengemachte Anstieg ist also mindestens zehnmal so schnell, so dass wir hier vor massiven Problemen stehen, weil die natürliche Anpassung vor einer gänzlich unbekannten Herausforderung steht.

So viel CO2 gab es in der Atmosphäre schon seit 100.000en von Jahren nicht mehr

2. Da wir uns zum Beginn der menschengemachten Klimakrise in der Nähe des Temperaturmaximums des natürlichen Zyklus befunden haben, war der Ausgangspunkt der Veränderung eine relativ hohe Temperatur und ein relativ hoher CO2-Wert. Durch die menschengemachte Erhöhung des CO2 haben wir nun eine CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die es seit 100.000en von Jahren nicht mehr gegeben hat (s. z. B. https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Kohlendioxid_in_der_Erdgeschichte). Ohne ambitionierten Klimaschutz würden wir Konzentrationen erreichen, die es zuletzt vor einigen 10 Millionen Jahren gab. Mit welcher Art von Veränderungen das einhergeht (Kipppunkte, Feedback-Mechanismen, evtl. “stabile” Hot-House-Bedingungen) ist von daher sehr schwer abzusehen.

Die Erde überlebt die Klimakrise, aber was ist mit uns Menschen?

Die Erde, auch das Leben auf der Erde, wahrscheinlich sogar die Gattung Mensch können all das überleben. Aber das können nicht 8 Mrd Menschen auf der Erde in dem derzeit relativ hohen Wohlstand (hier im globalen Norden ein sehr hoher Wohlstand; relativ, weil es ja nicht allen so gut geht). Ich möchte mir nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn die Menschheit innerhalb von 100 Jahren auf z.B. unter 1 Mrd Menschen schrumpft. Das ist erstmal nur eine abstrakte Zahl und klingt vielleicht nicht schlimm, aber praktisch heißt das: Ernteausfälle und Hunger, Flucht vor unerträglichen Lebensbedingungen, Aufstände, Verteilungskämpfe und Krieg.

Eine andere Welt ist möglich!

Aber wie oben schon gesagt: Wir haben es noch in der Hand. Wer hätte 1985 die Vorhersage gewagt, dass es 5 Jahre später in dem Gebiet der DDR freie Wahlen, Reisefreiheit und keine Stasi mehr geben würde? Massive Umbrüche können in kurzer Zeit passieren, wenn eine starke Zivilgesellschaft die Politik zum Handeln zwingt. Also nehmen wir es endlich in die Hand!